Römer

Predigthilfe vom 5. Juni 2022 – Römer 9, 1-18

Predigtthema:         Gerechtigkeit allein durch die Gnade

Die Erarbeitung dieser Predigt erfordert etliche Stunden an Vorbereitung. Zu eurer Unterstützung enthält diese Predigthilfe deshalb Hinweise für eure Verkündigung, ersetzt aber nicht euer eigenständiges Erarbeiten des Bibeltextes. Bei der Vorbereitung dieser Predigt suchen wir nach dem, was der Herr über den Predigttext durch uns sagen will, denn wir verkündigen nur die Botschaft, die uns persönlich auf der Basis des Predigttextes aufs Herz gelegt wird. Nur wo der Herr uns das Herz gefüllt hat, da haben wir etwas zu sagen, da nur dann gilt: „Wer euch hört, hört mich“ (Lk 10,16a)!

1. Sehen, was dasteht

Verschiedene Bibelübersetzungen, um mit dem Predigttext vertraut zu werden findet man z.B. unter www.bibleserver.com (Luther 1984 / Revidierte Elberfelder Bibel / Hoffnung für alle / Schlachter 2000 / Neue Genfer Übersetzung / Gute Nachricht Bibel / Einheitsübersetzung / Neues Leben Bibel / Neue Evangelistische Übersetzung).

1.1 Allgemeine Hinweise zum Predigttext

Wir beschäftigen uns im Juni, Juli und August mit der zweiten Hälfte des Römerbriefes (Kapitel 9-16). Kapitel 1-8 wurden im Jahr zuvor in den Predigten behandelt.

In Römer 9-11 behandelt Paulus vor allem die Israel-Frage: Nachdem er in Röm 1-8 dargelegt hat, dass die gute Botschaft für alle Menschen gilt und den Juden sogar eine Priorität zugeordnet ist, stellt sich nun die Frage: Warum erkennen so viele Juden die Wahrheit über Jesus nicht?

In dem Abschnitt für diesen Sonntag aus Römer 9,1-18 ist die größte exegetische Herausforderung die Einordnung der Aussagen über Erwählung/Vorherbestimmung.

1.2 Hilfen zum Verständnis des Predigttextes

Hilfen zur Auslegung des Römerbriefs bieten neben den gängigen Studienbibeln z.B.                              

*Adolf Pohl, Der Brief des Paulus an die Römer (Wuppertaler Studienbibel)

*Douglas J. Moo, The Epistle to the Romans (NICNT)

*Eckhard Schnabel, Der Brief des Paulus an die Römer (HTA)

*Heiko Krimmer, Römerbrief (Edition C)    

1.3 Anmerkungen zum Verständnis des Predigttextes

V. 1-5: Paulus ist zutiefst traurig und würde gerne ändern, dass sein Volk Jesus ablehnt

Wie sind die Bekräftigungen in Vers 1 zu verstehen?

  • Paulus betont auf mehrfache Weise, dass er nun wirklich die Wahrheit sagt. Zuerst die positive Aussage: „Ich sage die Wahrheit in Christus“ – also im Bewusstsein der Gegenwart Christi, der selbst die Wahrheit in Person ist (Joh 14,6). Dann die negative Entsprechung: „Ich lüge nicht.“ Und als drittes die geistliche Verstärkung: „Mein Gewissen gibt mir Zeugnis im Heiligen Geist.“ Das bedeutet, dass sein Gewissen, vom Heiligen Geist geschärft und geleitet, mit seiner folgenden Aussage übereinstimmt. Paulus möchte ganz besonders hervorheben, dass die folgenden persönlichen Emotionen, von denen er berichtet, der Wahrheit entsprechen. Möglicherweise hat sein Fokus auf die Heiden-Mission manche daran zweifeln lassen, ob sein Herz noch für sein Volk Israel schlägt – und dem möchte er entschieden widersprechen.

Was meint Paulus, wenn er sogar bereit wäre, verflucht zu sein für sein Volk?

  • Paulus beschreibt den unaufhörlichen Schmerz und die Trauer in seinem Herzen (V.2), weil sein Volk, das er als Brüder ansieht, in großen Teilen Jesus nicht als Messias annimmt. Er geht so weit, dass er sogar bereit wäre, für sie ein Verfluchter zu werden. Verflucht ist, auf wem das Gericht Gottes liegt, wer ausgeschlossen ist aus der Gemeinschaft mit Jesus Christus. Obwohl viele aus seinem Volk Paulus ausgestoßen haben, ihn hassten und sogar töten wollten, liebte er sie – ganz in der Jesus-Art – und wäre sogar bereit, für sie sein Heil aufzugeben (wenn dies möglich wäre).

Warum trauert Paulus so sehr mit Israel?

  • Der Grund dafür ist nicht nur, dass er selbst von diesem Volk abstammt. Er sieht, dass das Volk Israel in der Geschichte Gottes mit dieser Welt eine besondere Rolle spielt. Das zählt er in Vers 4 und 5 auf: Gott hat die Israeliten als Kinder angenommen (vgl. 2Mose 4,22). Die Herrlichkeit gehört dem Volk Israel, Gott selbst hat seine Gegenwart in Stiftshütte und Tempel zugesagt und wohnte inmitten von Israel. Gott hat mit Israel Bündnisse geschlossen, ob mit Abraham, Jakob, der Sinai-Bund oder der David-Bund. In dem Rahmen hat er Israel auch das Gesetz, alle Regelungen für Gottesdienste sowie vielzählige Verheißungen gegeben. Die Väter – vermutlich die Stammväter Abraham, Isaak und Jakob gemeint – waren aus dem Volk bzw. deren Vorfahren. Und sogar Jesus, der Sohn Gottes selbst, dem alle Ehre gebührt, kam aus dem Volk Israel. Wegen all diesen Gründen trauert und schmerzt es Paulus so sehr, dass nun so viele Israeliten sich gegen Christus und damit gegen den lebendigen Gott gewandt haben und verloren gehen (vgl. auch schon Römer 3,1-2).

Vers 6-13: Zum wahren Israel gehört, wer zum Glauben erwählt ist

Warum sind nicht alle Israeliten, die aus Israel stammen?

  • Nachdem Paulus seinen Schmerz darüber zum Ausdruck gebracht hat, dass viele Israeliten Jesus ablehnen, begründet er nun, warum dies der Fall ist. Er erklärt, wer die wahren Israeliten sind. Nicht jeder, der ein Nachkomme Jakobs ist, ist automatisch ein wahrer Israelit, der Anteil am Heil hat. Sonst würde ja ein Heilszwang für Nachkommen Jakobs gelten. Die Heilslinie, wer zum geretteten Heilsvolk Israel gehört ist somit nicht identisch mit dem natürlichen Volk Israel. Damit widerspricht Paulus einer zumindest teilweise verbreiteten Ansicht zur damaligen Zeit, dass alle Israeliten errettet sind: In mSanh 10,1 steht: „Ganz Israel hat Anteil an der zukünftigen Welt.“(Andere Werke hingegen unterscheiden klar zwischen gerechten und ungerechten Juden, solche die auf dem wahren Weg sind oder nicht.) Das wird auch durch das Bild in Römer 11,17ff deutlich, wo Paulus aufzeigt: Einige Zweige wurden herausgebrochen, andere dafür eingepfropft. Gleichzeitig macht Paulus mit dieser Aussage aber auch deutlich: Es gibt auch noch Israeliten, die in der Heilslinie sind, diejenigen, die Jesus annehmen und an ihn glauben!
  • Paulus begründet dies mit der Geschichte: Auch schon bei Abraham war es so, dass nicht alle seine Nachkommen automatisch Kinder der Verheißung und Kinder Gottes waren. Nur die Linie über Isaak wurde erwählt. Paulus zitiert hier 1Mose 21,10 und 1Mose 18,10. Genauso war es bei Isaak und Rebekka, bei denen auch nur über Jakob die Segenslinie ging und nicht über Esau. Während man bei Abraham das Nein Gottes zur Ismael-Linie noch etwas nachvollziehen kann – es war ein mit der Sklavin gezeugtes Kind nicht nach dem Willen Gottes – wird bei den Söhnen Isaaks, die Zwillinge sind, ganz deutlich: Nicht jedes Kind ist erwählt. Daraus wird deutlich: Weder bei Abraham noch bei Isaak noch bei Jakob war die Verheißungslinie über das Fleisch bestimmt; nicht alle Nachkommen sind automatisch in das Heil eingeschlossen.

Werden die Juden nicht auch durch ihren Glauben an Gott errettet?

  • Wenn man online nach Predigten oder Auslegungen zu diesem Text sucht, stößt man schnell auf verschiedenste Predigten aus der ev. Kirche zu diesem Text am Israelsonntag. In einigen davon wird folgende Auslegung vertreten: Hier in Vers 6 werde nicht gesagt, dass es Israeliten gibt, die nicht Gottes Kinder sind; es werde nur gesagt, dass es noch weitere Kinder Gottes/weitere Israeliten gäbe, die nicht vom Fleisch aus Israeliten seien. Zum einen mit dem Hinweis auf Röm 11,26 wird gesagt, dass alle Juden errettet werden. Zum andern wird vor allem zum Dialog aufgefordert, da man andere herabsetze und sich über sie stelle, wenn man ihnen sagt, dass sie verloren gehen und den falschen Glauben haben. Wie ist damit umzugehen?
  • Aus meiner Sicht ist dieser heute beliebten Auslegung exegetisch sowie theologisch klar zu widersprechen. Keiner der Kommentare, die ich gelesen habe, kommt zu diesem Ergebnis – exegetisch ist es auch einfach nicht stichhaltig. Im Gegenteil scheint mir diese Auslegung eher gegen den Bibeltext zu gehen und vor allem vom heutigen Zeitgeist bestimmt zu sein. Paulus ist hier im Kontext ganz klar: Er trauert um die Juden, die nicht an Jesus glauben und wäre bereit, sich sogar selbst unter das Gericht Gottes zu stellen/sich zu verfluchen, damit sie gerettet werden. Daraus ergibt sich: Er geht davon aus, dass diejenigen, die nicht an Jesus glauben, verloren gehen. Vers 6 ist aus meiner Sicht so zu verstehen, dass viele leibliche Israeliten nicht wirkliche Israeliten sind, eben, weil sie nicht an Jesus glauben. Nur das passt auch gut zu den folgenden Versen, in denen Paulus begründet und aufzeigt, dass allein die fleischliche Abstammung nichts zu einer Errettung beiträgt. Der Gesamtkontext der Bibel zeigt an vielfältigen Stellen auf, dass nur errettet wird, wer an Jesus glaubt (z.B. Joh 14,6), weswegen es den Aposteln und ersten Missionaren immer ein Anliegen war, auch Juden mit der guten Botschaft zu erreichen. Einer anderen Glaubensrichtung wie den Juden zu sagen, dass sie verloren gehen, weil sie nicht an Jesus glauben, hat aus meiner Sicht nichts mit einer Herabsetzung zu tun, sondern ist eine ehrliche Darstellung des eigenen Glaubens – natürlich im gebotenen Respekt gegenüber anderen Glaubensrichtungen. Wie ist Röm 11,26 zu verstehen? Das kann hier nicht ausführlich behandelt werden, wir kommen in ein paar Wochen dazu. Aber ganz knapp: „Ganz Israel“ bezieht sich dort meines Erachtens vor allem auf die Zukunft, also nicht auf ganz Israel über alle Zeiten hinweg. Und es bezieht sich auch nicht auf jeden Einzelnen, sondern auf die Gesamtheit. Im Gegensatz zum Alten Testament, wo häufig beispielsweise in Jesaja vom „Rest Israels“ die Rede ist, der errettet wird, während „ganz Israel“ verloren geht – wird am Ende der Zeit „ganz Israel“ – also der Großteil der Israeliten, zum Glauben kommen, Jesus erkennen und errettet werden.

Wie ist „Erwählung“ in diesen Versen zu verstehen, warum erwählt Gott scheinbar willkürlich Jakob statt Esau?

  • Paulus zitiert aus Mal 1,2-3: „Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst.“ Wichtig ist zu berücksichtigen: Hassen und lieben kann je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen haben und muss nicht immer eine emotionale Ablehnung bedeuten, auch wenn es das kann. In diesem Kontext ist klar: Mit Hass ist die Zurückstellung hinter Jakob gemeint, eine Hintenanstellung. Gott erwählt Jakob dazu, die Heilslinie fortzuführen, nicht Esau. Trotzdem segnete Gott auch Esau (1Mose 27,39f). Außerdem heißt es in Dtn 23,8-9: „Den Edomiter sollst du nicht verabscheuen, denn er ist dein Bruder. Den Ägypter sollst du nicht verabscheuen, denn du bist ein Fremder in seinem Land gewesen. Kinder, die ihnen geboren werden, dürfen von ihnen in der dritten Generation in die Versammlung des HERRN kommen.“ Also auch für die Nachkommen Esaus war die Versammlung des HERRN und die Gemeinschaft mit Gott nicht völlig ausgeschlossen. Allerdings gilt Gottes besonderer Segen und seine Erwählung Jakob.
  • Es wird explizit hervorgehoben: Gott erwählte Jakob zur Heilslinie noch im Bauch der Mutter, also bevor Esau oder er irgendetwas dazu beitragen konnten. Hier lassen sich Parallelen zur Rechtfertigungslehre ziehen: „Der wirksame Ruf Gottes in die Gotteskindschaft hängt allein von Gottes erwählendem Ratschluss ab, nicht von seiner vorherigen Kenntnis der guten Werke, die der Erwählte tun wird“ (Schnabel).
  • Was lässt sich nun daraus ableiten? Manche deuten diese Verse im Sinn einer doppelten Prädestination – Gott bestimmt Jakob und Esau zum Heil und zum Unheil voraus. Andere hingegen sehen eine einfache Prädestination: Gott bestimmt Jakob zum Heil; das Ziel ist nicht, dass Esau verloren geht, aber er wird eben nicht zum Heil bestimmt. Wieder andere sehen hier gar keine Vorherbestimmung, vor allem mit dem Hinweis darauf, dass es speziell um die Erwählung des Volkes Israels geht, nicht um die Erlösung der einzelnen Person.
  • Aus meiner Sicht lässt sich diese Frage theologisch nicht eindeutig auflösen. Gottes freie Gnadenwahl und die Verantwortung und Aufforderung, zu glauben und anzunehmen, können nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es muss beides behalten werden: Auf der einen Seite wird Gottes Erwählung nicht als ein „Zwang“ dargestellt, der dem Menschen aufgezwungen wird. Auf der anderen Seite wird der „Glaube“ nicht als primär menschliche Verhaltensweise gesehen, aufgrund dessen der Mensch sich Errettung verdient. Paulus leidet deswegen auf der einen Seite darunter, dass viele Jesus ablehnen und wirbt immer wieder darum, dass die Israeliten aber auch die Heiden Jesus als Messias annehmen (so erklärt er in Röm 1-8 ausführlich die Errettung durch Glauben). Gleichzeitig vertraut er auf Gottes Souveränität, der in seiner Allmacht genau weiß und bestimmt hat, wer ein Gefäß zur Ehre und wer ein Gefäß zur Unehre ist – beide zu seiner Verherrlichung (Röm 9,21ff). Beides zusammen ist nur in Gottes Weisheit verständlich (Röm 11, 33-38).

Vers 14-18: Gott ist souverän und hat in seinen Plan auch eingeschlossen, dass Menschen verloren gehen

Ist die freie Gnadenwahl Gottes ungerecht?

  • Paulus selbst stellt diese Frage nun, da er weiß, dass für menschliche Ohren vorherige Aussagen anstößig und unverständlich sein können. Sofort stellt Paulus aber klar: „Das sei ferne.“ Er hat in den letzten acht Kapiteln des Römerbriefs doch gerade aufgezeigt, dass Gott gerecht ist und wie Gottes Gerechtigkeit funktioniert! Paulus begründet nun selbst – indem er Aussprüche Gottes aus 2Mose 33,19 zitiert: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ Mose erhält diese Antwort von Gott als feste Vergewisserung, dass Gott ihm Gnade geschenkt hat, mit ihm mit geht und sich ihm zeigt – soweit das für einen Menschen möglich ist. Das klingt erstmal nur teilweise wie eine Antwort auf die menschliche Frage der Gerechtigkeit Gottes. Trotzdem sieht Paulus es als Antwort: Gott ist frei in seiner Barmherzigkeit – kein Mensch hat Anspruch darauf und somit geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Gnade, wenn sie uns zuteilwird.

Ist es gerecht, dass Gott Menschen wie den Pharao verstockt, um seine Macht zu erweisen?

  • Die Freiheit, seine Barmherzigkeit auszuüben, entspricht der Freiheit, seine Barmherzigkeit auch zurückzuhalten. Allerdings wird am Pharao deutlich, wie eng verwoben hier das menschliche Handeln und Gottes Handeln sind. Der Pharao verstockte selbst sein Herz (2Mose 8,11; 9,34) und lehnte Gott damit ab. Gleichzeitig verstockte Gott sein Herz (2Mose 7,13; 8,15; 9,7.12.35; 10,1.20.27). Paulus macht hier vor allem deutlich: Gott hat auch eingeplant, dass Menschen verloren gehen und erweist daran seine Macht und Herrlichkeit. Gottes eigentlicher Wille ist es zwar, dass alle Menschen errettet werden (1Tim 2,4). Aber Gottes uneigentlicher Wille – im Rahmen einer gefallenen Welt – ist es, dass sein Zorn und seine Macht sich ausdrücken, zum einen zur Gerechtigkeit, zum anderen, um dadurch seine Macht und Herrlichkeit zu erweisen.

Was schlussfolgert Paulus nun in Vers 16 und Vers 18?

  • Nachdem Paulus den Abschnitt damit begonnen hat, dass er darunter leidet, dass so viele aus seinem Volk Israel verloren gehen, hat er zuerst dargelegt, wer die wahren Isareliten sind – diejenigen, die Gott erwählt hat zum Glauben an Jesus. Nun hat er in einem weiteren Schritt aufgezeigt: Gott verliert die Kontrolle nicht! Nur, weil viele nicht errettet werden, heißt das nicht, dass Gott nicht souverän ist. Gottes Souveränität beinhaltet in dem Rahmen, in dem er den Menschen Freiheit lässt, zu entscheiden, wem er gnädig ist und wen er verstockt. Gott hat also noch immer die Kontrolle! Deswegen liegt es nicht „an dem Wollenden, auch nicht an dem Laufenden, sondern an dem sich erbarmenden Gott.“ Denn Gott kann sich erbarmen und verhärten nach seinem Willen. Wollen und Laufen des Menschen sind damit nicht abgewertet (vgl. Phil 2,12-13). Aber bei Gott zählt nicht, wie bei uns Menschen häufig, die Leistung. Wer genug leistet, über den erbarmt sich Gott. Nein! Bei Gott geht es nicht um unsere Leistung, sondern allein um seine Gnade, der wir uns aussetzen dürfen.

2. Verstehen, worum es geht

2.1 Hinweise für hermeneutische Überlegungen (Auslegung)

Die Erklärungen von Paulus gehen an die römische Gemeinde und gelten somit grundlegend auch für unsere Gemeinden heute. Zu berücksichtigen ist aber: Einige theologische Aussagen betreffen Israel als Ganzes (beispielsweise die Erwählung oder Verwerfung) und lassen sich nicht eins zu eins auf die einzelne Person heute übertragen.

2.2 Hinweise für situative Überlegungen (Predigtanlass)

Wir predigen diesen Text am Pfingstsonntag. Zu überlegen ist deswegen je nach Gemeinde: Wie stark wird der Fokus auf den Pfingstsonntag gelegt? Der Textabschnitt selbst hat nicht direkt mit dem Pfingstgeschehen oder dem Heiligen Geist zu tun. Möglicherweise muss deswegen ein anderer Text gewählt werden oder man versucht eine Verknüpfung über das Thema zu ziehen: Gerechtigkeit allein durch die Gnade. Alle Nichtjuden haben in Jesus die Möglichkeit zur Errettung, jeder Mensch kann ein „wahrer Israelit“ werden – das wurde an Pfingsten bzw. in der Apostelgeschichte deutlich, als der Heilige Geist auch auf Nichtjuden kam.

Zu berücksichtigen ist außerdem die Unterreihe innerhalb des Römerbriefes. Die vorgeschlagenen Themen von Juni bis Juli sind an den vier Soli der Reformation orientiert: Allein durch die Gnade, allein durch den Glauben, allein durch Jesus Christus, allein durch das Wort. Die könnten an diesem Sonntag vorgestellt werden, wenn diese Reihe in der jeweiligen Gemeinde in den vier Wochen thematisch durchgezogen wird.

2.3 Hinweise für homiletische Überlegungen (Anwendung)

Vers 1-5: Paulus ist zutiefst traurig und würde gerne ändern, dass sein Volk Jesus ablehnt

  • Paulus kann hier als Vorbild dargestellt werden: Er hat verstanden, wie schrecklich es ist, wenn Menschen verloren gehen. Gerade bei geliebten und nahestehenden Menschen. Er wäre nicht nur bereit, für sie in den Tod zu gehen, damit sie errettet werden, sondern sogar sein Heil aufs Spiel zu setzen. Haben wir verstanden, was wirklich wichtig ist im Leben? Haben wir diese Liebe für Verlorene wie Paulus? Was sind wir dafür bereit einzusetzen oder zu riskieren? Wie steht es um unsere Leidenschaft?
  • In Anklang an Paulus können sich auch Christen heute die Frage stellen: Wie ist es mit Gottes Zuverlässigkeit und Gnade, wenn geliebte Menschen ihn nicht kennenlernen und verloren gehen? Ich bin auf ein Zitat eines Christen gestoßen, der sagt: „Ich will keinen gnädigen Gott für mich allein, ich will nicht allein erlöst werden: Für meine ganze Familie soll das gelten. Nur wenn Gottes Gnade uns alle zu ihm bringt, kann ich mich über sie freuen. Sonst finde ich die Zusage von Gottes Liebe und Barmherzigkeit, sonst finde ich Gott selbst unglaubwürdig.“ Diese Frage stellen sich manche Christen: Wenn mein Kind nicht glaubt, oder sogar mein Ehepartner: Will ich so einen Gott überhaupt, der den mir geliebten Menschen verloren gehen lässt? Hier kann zum einen der tiefe Schmerz mit dem Schmerz von Paulus verglichen werden – der Schmerz ist etwas Positives, weil er zeigt, dass wir verstanden haben, worum es wirklich geht. Gleichzeitig ist doch zu berücksichtigen, dass irdische Ehe oder Familie ein zeitliches Konzept sind; im Himmel und in Ewigkeit ist unsere Familie die geistliche Familie. Und Gott zwingt niemanden, an ihn zu glauben, seine Gnade beinhaltet ein gewisses Momentum der Freiheit. Deswegen macht es ihn nicht unglaubwürdig, wenn geliebte Menschen verloren gehen.
  • Paulus sieht Israel nach wie vor in einer besonderen Stellung in der Heilsgeschichte. Israel wurde Vieles anvertraut – und auch in Zukunft hat Gott mit diesem Volk noch einen besonderen Plan. Zum einen ist wichtig deutlich zu machen: Auch die Juden brauchen Jesus, um errettet zu werden; deswegen sind die wahren Israeliten alle, die an Jesus glauben. Zum anderen ist die besondere Stellung Israels nach wie vor aufzuzeigen.

Vers 6-13: Zum wahren Israel gehört, wer zum Glauben erwählt ist

  • Paulus macht deutlich: Die Abstammung nach dem Fleisch ist nicht die Entscheidende, wirklich Israeliten/Volk Gottes sind diejenigen, die Gott erwählt hat. Hier ist eine Parallele zu ziehen: Erwählt war damals das Volk Israel, heute sind es alle, die an Jesus glauben. Man ist nicht errettet, weil die Eltern gläubig sind und man deswegen in eine christliche Kultur hineingewachsen ist. Die Frage ist: Glaubst du an Jesus?
  • Wir können nichts dazu beitragen, errettet zu werden. Gott hat damals vor der Geburt erwählt. Das lässt sich auf das Individuum je nach theologischer Position zur Prädestination nur bedingt übertragen. Eines aber lässt sich aus meiner Sicht klar übertragen: Es ist allein Gnade, dass wir errettet werden. Wir können nichts von uns heraus beitragen. Keine Werke. Und auch keinen Glauben aus uns heraus. Gott ist es, der den Glauben schenkt, von uns ist es nur ein völlig passives „Ja-Sagen“. Am Ende verdanken wir es allein der Gnade Gottes, dass wir errettet sind, weil er für unsere Schuld am Kreuz bezahlt hat. Weil er geschenkt hat, dass wir von Jesus hören durften, durch den Heiligen Geist verstehen konnten und im Glauben annehmen konnten.

Vers 14-18: Gott ist souverän und hat in seinen Plan auch eingeschlossen, dass Menschen verloren gehen

  • Paulus kommt aus seinem Schmerz über das Verlorengehen einiger Menschen zu der Hoffnung: Gott ist trotzdem souverän. Er will zwar, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Aber er wurde von der Sünde und der Ablehnung einiger Menschen nicht überrascht. Im Gegenteil, er gebraucht selbst das zu seiner Ehre und Verherrlichung. Wir dürfen glaubend vertrauen: Gott hat alles in seiner Hand!

3. Sagen, wo es hingeht

3.1 Predigtziel – warum halte ich diese Predigt?

Das Ziel der Predigt ist es zu zeigen, dass wir allein aus Gnade errettet sind. Auch das Glauben-dürfen ist kein Werk aus uns selbst! Damit ist die Predigt eine Einladung an jeden, allein auf die Gnade Gottes zu setzen und zu vertrauen.

Die Predigt soll eine Leidenschaft für die Noch-Verlorenen wecken, damit ein Schmerz entsteht wie bei Paulus. Außerdem soll die Predigt eine Leidenschaft für Israel wecken, das immer noch Gottes Heilsvolk ist.

Und letztendlich soll die Predigt Hoffnung geben, dass wir einen souveränen Gott haben, der – selbst wenn Menschen verloren gehen, was das Schrecklichste überhaupt ist – noch souverän ist, das einplant und in seiner Hand hat. Wie viel mehr dürfen wir dann nicht in allen Schrecken und Nöten auf ihn vertrauen.

3.2 Predigtthema – was sage ich in dieser Predigt?

Gerechtigkeit allein durch die Gnade

Leidenschaft für die Verlorenen – weil Gott gnädig ist

Wir haben einen souveränen und gnädigen Gott, der selbst das Böse im Griff hat

Die Freiheit Gottes: Die freie Gnadenwahl

3.3 Predigtentfaltung – wie sage ich es in dieser Predigt?

a) Haben wir eine Leidenschaft für die Verlorenen und für Israel? (V.1-5)                                                                   

b) Gott erwählt die Glaubenden und errettet uns allein aus Gnade (V.6-13)

c) Gott ist souverän und gebraucht selbst Unglaube zu seiner Herrlichkeit (V.14-18)

oder:                       

a) Der Schmerz um Israel: So viele Gaben, so wenig Erkenntnis (V.1-5)

b) Gottes Freiheit: Die freie Gnadenwahl Gottes (V.6-18)

b1) Gott erwählt allein aus Gnade (V.6-13)

b2) Gott verstockt zu seiner Verherrlichung (V.14-18)

3.4 Predigtveranschaulichungen – wie verdeutliche ich es in dieser Predigt?

Erwählung, Gnade und Glaube:

  • Wie zwei Seiten einer Münze. Von vorne steht drauf: Glaube an Jesus. Von hinten steht drauf: Jesus hat dir den Glauben geschenkt.
  • Wie im Klettergarten: Wer ja sagt, wird eingehängt, dann erst darf er in den Kletterpark hinein. Man klettert zwar selbst und hält sich tatsächlich auch selbst fest. Aber immer, wenn man abrutscht, merkt man, dass das Seil oben drüber da ist und einen hält, dass man immer gehalten ist, auch wenn man sich selbst nicht halten kann.
  • Es gibt einen gnädigen Gott – und trotzdem so viele verlorene Menschen – warum? Es gibt auch einen Friseur und trotzdem Leute mit unordentlichen Haaren, weil sie nicht zu ihm gehen.

Leidenschaft für Verlorene:

  • Hier kann persönlich erzählt werden, warum das Herz für das Evangelium brennt, was es bei einem selbst bewirkt hat und wo man als Prediger Schmerz hat ähnlich wie Paulus.

(Samuel Koser)