Predigtthema: Wenn es anstrengend wird: „Ich bin da!“
Predigttext: Markus 6,45-52
1 Erläuterungen zum Text
Auf ein Speisungswunder (6,30-44), bei dem 5000 hungrige Männer aus dem Nichts heraus satt gemacht wurden, folgt eine nächtliche Bootsfahrt bei straffem Gegenwind. Dieser abrupte Übergang bildet die Wirklichkeit des Gemeindealltags ab: Neben unerwarteten Höhepunkten stehen anstrengende Abschnitte. Wenn Gemeinde „ins Rudern“ kommt, wenn Jesus zum „Gespenst“ wird, dann spricht er: „Ich bin da“.
V45f: Unmittelbar nach dem Speisungswunder drängt Jesus seine Jünger mit Nachdruck, ins Boot zu steigen und ihm vorauszufahren. Über den Grund der Nötigung ist nichts Näheres bekannt. Als Zielort für die Überfahrt über den See Genezareth gibt Jesus Betsaida im Norden des Sees vor. Dieser Ort wird aber nicht erreicht, sondern Gennesaret am südlichen Westufer (6,53). Jesus selbst bleibt zurück, um sich von der Volksmenge zu verabschieden und sie zu entlassen. Danach zieht er sich zum Beten auf einen Berg in die Stille zurück (vgl. 6,31f). Der Berg ist nicht näher bestimmt. Berge gelten als Orte der Offenbarung und der Begegnung mit Gott.
V47: Als die Dunkelheit hereinbricht, befindet sich das Boot mitten auf dem See. Im Boot die Jünger – allein, d.h. ohne Jesus. Jesus selbst befindet sich an Land – allein, d.h. ohne seine Jünger.
V48: Mitten in der Nacht, weit entfernt von den Jüngern, sieht Jesus sie. Diese Wahrnehmung gehört bereits in den Zusammenhang des Wunders, wonach Jesus seinen Jüngern auf dem See erscheint. Jesus sieht, wie sich die Jünger bei heftig stürmischem Gegenwind mit dem Rudern abquälen. Möglicherweise werden sie durch den Sturm von ihrer beabsichtigen Route über den See abgetrieben (s. oben). Aus der Ferne und in der Dunkelheit nimmt Jesus die Not von Menschen wahr, die auf Hilfe angewiesen sind.
In der Zeit zwischen drei und sechs Uhr morgens (= vierte Nachtwache) kommt Jesus zu den Jüngern. Offensichtlich haben sich die Jünger die ganze Nacht hindurch mit dem Rudern abgerackert. Die vierte Nachtwache ist die Zeit des Morgengebets, da „die Seele auf den Herrn hofft“ (Ps 130,6). Jesus läuft über den See, um an seinen Jüngern vorüberzugehen. Das erinnert an den Vorübergang Gottes als Epiphanie Gottes (Ex 33,19-23; 34,6; 1Kön 19,11). Bei Jesus bekommt diese Epiphanie eine eigene Gestalt, denn das Vorübergehen von Jesus endet bei den Männern im Boot.
V49f: Zwar sehen die Jünger Jesus, wie er über das Wasser schreitet. Aber sie können diese Erscheinung nicht einordnen und verkennen Jesus. Sie halten ihn für ein Gespenst (griechisch: Phantasma). Ausdrücklich wird hervorgehoben: alle sahen ihn. Damit wird die Realität dieser Erscheinung hervorgehoben. Sie haben es nicht mit einem unwirklichen Trugbild zu tun. Jesus begegnet seinen Jüngern in der Majestät einer gottgleichen Erscheinung. Auf diese Weise erschließt Jesus den Jüngern seine Größe und sein Wesen.
Die Männer auf dem See schreien laut auf und tiefes Erschrecken packt sie. Das ist eine typische Reaktion von Menschen, die Gott begegnen. Nicht der vom Sturm gepeitschte See, nicht ein vermeintliches Gespenst, sondern die Konfrontation mit der Wirklichkeit Gottes in der Gestalt von Jesus treibt ihnen die Furcht ins Gesicht.
Gegen diese Furcht setzt Jesus sein schöpferisches Wort (vgl. Mt 28,5; Lk 1,13.30; Mk 16,6): „Seid getrost!“ (oder „Erschreckt nicht!“). Dieses Wort gegen die Furcht ist nicht Appell, sondern Zuspruch, der die Angst überwindet. Dafür gibt es einen guten Grund, denn Jesus deckt auf, wer er ist: „Ich bin es.“ Diese Worte erinnern an die Selbstvorstellung Gottes (Ex 3,14; Jes 43,11.13). Jesus weckt Vertrauen, weil er es ist, weil er da ist, weil er für seine Jünger da ist. Darum gilt: „Ihr braucht keine Angst zu haben!“ bzw. „Fürchtet euch nicht!“ Jesus hat Macht, Furcht zu überwinden und Vertrauen zu ihm zu erwecken.
V51f: Nun steigt Jesus zu den Jüngern ins Boot. Der Sturm legt sich und der See beruhigt sich. Das kann ein Bild für den Frieden sein, in den Jesus Menschen entlässt, wenn er in ihre Lebenssituation eintritt. Trotzdem sind die Jünger völlig fassungslos bzw. außer sich. Dieses Außer-sich-Geraten ist ein Zeichen dafür, wie wenig Menschen konkret mit der Wirklichkeit Gottes rechnen. Genau das wird von Markus als „verschlossenes Herz“ der Jünger diagnostiziert. Sogar nach dem großartigen Speisungswunder können sie noch nicht fassen, wer Jesus ist. Auf dem See erscheint er ihnen völlig fremd. Gott sei Dank: die Geschichte mit Jesus und seinen Jüngern geht weiter. Er hat sich ihnen vorgestellt: „Ich bin es.“ Nun wird er erweisen, wer er ist.
2 Hinweise für Lehre und Leben
2.1 Jesus: Ich bin es!
Jesus gibt sich seinen Jüngern auf sehr ungewöhnliche Weise zu erkennen. Sein nächtlicher Gang über den sturmgepeitschten See Genezareth lässt eher den Eindruck einer Begegnung mit einem Gespenst als den Eindruck einer Begegnung mit ihm entstehen. Auch die kurze Formulierung „Ich bin es“ will nicht vordergründig sagen: „Ihr kennt mich doch.“ Nein, eher ist gemeint: „Ihr (er)kennt mich nicht, aber ich werde euch zeigen, wer ich bin.“
Das entsprecht der Gottesbegegnung, wie sie Mose zuteilwurde (vgl. Ex 3). Auf die Frage, wer Gott ist, bekommt Mose eine Antwort, die wohl nicht zu erwarten war und eher als Verhüllung und Namensverweigerung zu verstehen ist: „Ich bin, der ich bin.“ Oder: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Wer nach dem Namen Gottes greift, um ihn zu (be)greifen, dem verweigert sich Gott: „Ich bin eben, der ich bin – fertig.“ Oder: „Ihr werdet es schon sehen in der von mir heraufgeführten Geschichte, wer ich bin und als wer ich mich bekunden werde.“ Gott allein weiß um sich selber und wird sich in seinem Handeln zu erkennen geben.
Darin liegt zugleich eine große Verheißung: „Ich bin es.“ „Ich bin da.“ „Ich bin für dich da.“ „Ich werde immer für dich da sein.“ Diese Zusage hat Gott durchgehalten und ihr einen Namen gegeben: Jesus. In seiner Zuwendung zu den Jüngern während der nächtlichen Bootsfahrt gibt Jesus dieser Zusage eine Gestalt. Er selbst spricht sich den Jüngern zu: „Ich bin es!“ Die Wurzel dieser Formulierung begegnet sowohl im Gottesnamen „Jahwe“ als auch im Namen „Jeschua (Jesus)“. Jesus verkörpert geradezu die Zuwendung Gottes.
2.2 Gemeinde: Ins Rudern gekommen.
Es ist kaum auszuloten, welche Bedeutung dieses Versprechen für die Gemeinde hat. Das Boot auf dem See, die Jünger, die „ins Rudern kommen“, der heftige Gegenwind – all das umschreibt die Situation der Gemeinde. Der Weg der Gemeinde kann zuweilen sehr anstrengend werden. Doch es gibt keinen verlassenen Ort, keine finstere Nacht, keine aufwühlende Situation, in der Gemeinde sich selbst überlassen bleibt. Jesus nimmt seine Gemeinde wahr und gibt sich ihr als Herr der Gemeinde zu erkennen. Mit hoffnungsvoller Perspektive hat Gemeinde viel Grund, zuversichtlich nach vorn zu schauen, weil das Wort von Jesus gilt: „Ich bin es!“ Die Begegnung mit der Wirklichkeit Gottes kann zwar Menschen tief erschüttern, aber sie tröstet auch zutiefst.
Nicht ohne Grund hat der Zuspruch von Jesus „Ich bin es!“ einen entlastenden Rahmen: „Erschreckt nicht!“ – „Ihr braucht keine Angst zu haben.“ Diese Worte sind nicht Appell, sondern wecken Vertrauen. Sie beinhalten eine schöpferische Überwindung von Angst und Misstrauen, Fassungslosigkeit und verschlossenen Herzen. Das braucht Zeit. Jesus geht mit seinen Jüngern einen langen Weg, der schließlich in einen großen Auftrag einmündet: für das Evangelium Gottes in die weite Welt hinauszuziehen (Mk 16,15ff). Gemeinde ist wesenhaft Mission. „Es gibt Kirche, weil es Mission gibt und nicht umgekehrt“ (David Bosch). Die nächtliche Szene auf dem See Genezareth beinhaltet viel Hoffnung für Gemeinde: auf schwierigen Abschnitten bleibt sie niemals sich selbst überlassen. Beauftragt mit einer großen Aufgabe ist sie einem Herrn zugeordnet, der ihr alles verspricht – sich selbst: „Ich bin es.“
3 Bausteine für die Predigt
3.1 Predigtziel
Gemeinde soll vergewissert werden: Wenn es für sie in finsteren Situationen anstrengend wird, dann hat Jesus sie immer noch im Blick, sucht die Nähe zu ihr und spricht sich ihr zu: „Ich bin da!“
3.2 Möglicher Predigteinstieg
Wie würde ein Pärchen an der Uferpromenade des Bodensees reagieren, wenn eine Person bei stürmischem Wetter in der Dunkelheit ohne Hilfsmittel über den See läuft? Mögliche Reaktionen könnten sein:
- Manche würden sich wie im falschen Film vorkommen: ein Alien, eine Fantasy-Gestalt, eine Horrorfigur…
- Manche wären fest überzeugt: eine Person, die einen Trick anwendet…
- Manche würden vermuten: eine moderne Theaterinstallation…
- Manche wüssten genau: Ein Tüftler, der im Schutz der Dunkelheit seine neue Erfindung ausprobiert…
- Manche würden feststellen: eine neue Nummer von „Verstehen sie Spaß“…
- Manche wüssten nicht, was sie sagen sollen…
- Manche würden selbstkritisch an sich selbst zweifeln: eine Sinnestäuschung, eine Wahnvorstellung, reif für den Therapeuten…
Markus erzählt eine merkwürdige Geschichte und es erscheint durchaus verständlich, dass die Jünger eher an ein Gespenst glauben als an eine Begegnung mit der Wirklichkeit Gottes.
3.3 Vorschlag für Predigtgliederung
Mit der ungewöhnlichen Begegnung zwischen den angestrengt rudernden Jüngern und Jesus, der auf dem aufgepeitschten See daher schreitet, gewinnen wir ein sehr anschauliches Bild für die Begegnung zwischen der Gemeinde in schwierigen Zeiten und ihrem Herrn. Dies kann in der Predigt entfaltet werden, wobei das Gefälle des Textes zu beachten ist: Das einzige Wort, das in der Szene gesprochen wird, ist das Wort von Jesus, der seine Gegenwart zusichert – gegen den Angstschrei (Erschrecken vor Gott!) der Jünger. Hier begegnet eine zentrale Aussage, die bis in die Gegenwart Relevanz für die Gemeinde hat.
Eine Predigtgliederung könnte so aussehen:
- Jesus ist nicht da
- Jesus nimmt uns wahr
- Jesus zeigt, wer er ist
3.4 Ermutigungstext und Liedvorschlag
Als Ermutigung könnte folgender Text in die Predigt aufgenommen werden (Verfasser und Quelle des Textes sind mir leider nicht bekannt):
In das Dunkel deiner Vergangenheit und in das Ungewisse deiner Zukunft,
in den Segen deines Helfens und in das Elend deiner Ohnmacht
lege ich meine Zusage: Ich bin da.
In das Spiel deiner Gefühle und in den Ernst deiner Gedanken,
in den Reichtum deines Schweigens und in die Armut deiner Sprache
lege ich meine Zusage: Ich bin da.
In der Fülle deiner Aufgaben und in die Leere deiner Geschäftigkeit,
in die Vielzahl deiner Fähigkeiten und in die Grenzen deiner Begabung
lege ich meine Zusage: Ich bin da.
In das Gelingen deiner Gespräche und in die Langeweile deines Betens,
in die Freude deines Erfolges und in den Schmerz deines Versagens
lege ich meine Zusage: Ich bin da.
In die Enge deines Alltags und in die Weite deiner Träume
in die Schwäche deines Verstandes und in die Kräfte deines Herzens
lege ich meine Zusage: Ich bin da.
Liedvorschlag: Auge im Sturm (Herr, ich suche deine Ruhe) – Feiert Jesus 2, Nr. 99.
Christoph Müller