Predigtthema: Gottes Gebote und menschliche Vorschriften
Predigttext: Markus 7,1-23
Verfasser: Christoph Müller
1 Erläuterungen zum Text
Pharisäer und einige Schriftgelehrte führen mit Jesus ein Streitgespräch über „rein“ und „unrein“. Diese Auseinandersetzung ist das umfassendste Streitgespräch, das Markus in seinem Evangelium überliefert hat. Im Anschluss wendet sich Jesus an die Menschen in Galiläa und schließlich unterrichtet er seine Jünger, denen seine Worte rätselhaft vorkommen.
V 1-5: Im Umkreis von Jesus traten recht häufig Pharisäer auf. Innerhalb des Judentums bildeten sie eine bedeutende Laienbewegung. Sie hatten sich zum Ziel gesetzt, die priesterlichen Reinheitsvorschriften auch auf den Lebensalltag auszudehnen. Durch die Heiligung des Alltags sollte stellvertretend ganz Israel für Gott geheiligt werden. Darum haben die Pharisäer die Reinhaltung von allen Gegenständen und Früchten im Alltagsleben eingeübt.
Im Unterschied zu den Pharisäer-Laien hatten die Schriftgelehrten unter den Pharisäern eine theologische Ausbildung bei einem Rabbi durchlaufen. Die extra aus Jerusalem angereisten Schriftgelehrten traten als amtliche theologische Vertreter auf. Sie standen in höherem Ansehen als die Schriftgelehrten aus der Provinz. Vermutlich waren sie gekommen, um Jesus zu beobachten und seine Bewegung zu prüfen.
Sehr bald stellte sich heraus: Einige Jünger von Jesus haben geltende Reinheitsvorschriften missachtet. Sie haben sich vor dem Essen nicht die Hände gewaschen. Wörtlich: „Mit unreinen Händen essen sie die Brote.“ Das Hände Waschen betraf also nicht hygienische Vorschriften, sondern Vorschriften für die kultische Reinheit. Ein rabbinisches Wort besagt: „Wer Brot ohne Händeabspülung isst, ist wie einer, der der Hure beiwohnt.“[1] Solche Vorschriften waren in der Überlieferung der Ältesten (= ältere Ausleger des Gesetzes) festgelegt. Schon seit Generationen hatten sie alttestamentliche Gebote ausgelegt, kommentiert und erweitert.
Offensichtlich waren die Empfänger des Markus-Evangeliums Heidenchristen. Sie kannten sich in der Welt des Judentums wenig aus. Deshalb erklärt Markus die Reinigungsvorschriften: In der Regel genügte das Waschen mit einer Handvoll Wasser. Kam jemand vom Markt, wurde ein Tauchbad nötig. Denn allgegenwärtig war die Sorge, sich verunreinigt zu haben durch Berührung mit anderen Menschen, die nicht nach dem Gesetz lebten (vgl. 3Mo 5,2f; 15,1ff; 4Mo 19,10ff). Auch für Becher, Krüge, Kupferschüsseln usw. gab es solche Vorschriften (vgl. 3Mo 11,32ff; 15,12ff; 4Mo 19,15ff). Die Erwähnung der „Bänke“ (wörtl. Ruhelager) geht auf 3Mo 15,5ff zurück. Generell sind die biblischen Gebote durch zahlreiche Anordnungen der Schriftgelehrten erweitert worden (vgl. Mt 23, 25; Lk 11, 39). Hier liegt das eigentliche Problem.
Die Konfliktsituation fand in einer Frage ihren Ausdruck: „Warum halten sich deine Jünger nicht an die Vorschriften der Vorfahren (Ältesten)?“ Im Unterschied zu den Pharisäern hielten Jesus und seine Jünger die Erweiterungen und Hinzufügungen zu den alttestamentlichen Weisungen nicht ein.
V 6-8: Ohne auf das Verhalten der Jünger näher einzugehen, hat sich Jesus sehr deutlich positioniert. Er hat Jes 29,13 auf die Pharisäer und Schriftgelehrten bezogen und sie als Heuchler entlarvt: Mit lautstarken Worten (Lippen) fordern sie die Einhaltung der Weisungen Gottes, aber entziehen sich selber (Herz) der Wirklichkeit Gottes. Eine Gottesverehrung trotz Distanz zu Gott ergibt keinerlei Sinn. Diese herzlose Distanz hat fatale Folgen: Mit Berufung auf die Tradition von Satzungen, die von Menschen konstruiert wurden, werden gleichzeitig die Gebote Gottes beiseitegeschoben.
V 9-13: Sehr geschickt hebelten Pharisäer und Schriftgelehrte die Gebote Gottes aus, um eigene Vorschriften in Kraft zu setzen. Ganz praktisch hat das Jesus am Beispiel des vierten Gebotes (Ex 20,12) aufgedeckt. Statt dieses Gebot in die tägliche Lebenspraxis hinein umzusetzen, wurde es auf raffinierte Weise ausgesetzt. Mit Berufung auf ein Opfer, das Gott dargebracht wird, wurde den eigenen Eltern die Liebe entzogen. Die den Eltern geschuldeten Unterhaltsverpflichtungen wurden zugunsten des Tempelschatzes umgeleitet. Die entsprechende Gelöbnisformel lautete: „Korban“ (aram.), das heißt: „Opfergabe sei, was immer dir – gemeint sind Vater und Mutter – von mir zusteht.“ Hinter dieser Formel stand die Überzeugung: Was Gott geweiht ist, ist für Menschen unantastbar. Denn Gott hat mehr Bedeutung als jeder Mensch und hat darum Vorrang vor allem anderen. Damit endete im konkreten Beispiel die Unterhaltspflicht für die eigenen Eltern. Das führte zu unglaublichen Härtefällen und Notlagen. Das Perfide daran: Manche führten den gelobten Betrag nicht einmal an den Tempel ab, sondern behielten ihn für sich selbst. Die guten, auf Liebe zielenden Gebote Gottes wurden umgangen. Bleibt die Frage: Was sind Opfer für Gott wert, wenn dabei die Liebe zu Menschen auf der Strecke bleibt? Darin erwiesen sich Pharisäer und Schriftgelehrte sogar als Wiederholungs-täter.
V 14f: Nach dieser Auseinandersetzung mit der Führungselite hat Jesus die galiläische Landbevölkerung angesprochen. Sehr deutlich hat er um Aufmerksamkeit gebeten: „Hört mir alle zu und versteht mich richtig.“ Die Worte von Jesus zielten darauf ab, das Unverständnis von Menschen zu überwinden, die ihren Denkkategorien und ihrem Glaubensverständnis verhaftet waren. Jesus hat deutlich erklärt, was tatsächlich unrein macht und was nicht. Unreinheit hängt nicht davon ab, was der Mensch isst, sondern wer er ist.
V 16: Dieser Vers („Wer Ohren zum Hören hat, soll gut zuhören.“) fehlt in vielen Bibelübersetzungen. Grund: In den ältesten Handschriften des Neuen Testaments fehlt dieser Vers. Er wurde erst später hinzugefügt und taucht darum erst in späteren Handschriften auf.
V 17-23: Im nun folgenden Gespräch hat Jesus seinen Jüngern „Nachhilfeunterricht“ gegeben. Die Worte von Jesus (s. oben) sind den Jüngern rätselhaft geblieben. Noch einmal unterstreicht Jesus: „Was von außen in Menschen hineinkommt, kann sie nicht unrein machen.“ Diese Bemerkung bezieht sich auf die Ernährung von Menschen, also auf den Prozess der Nahrungsaufnahme, Verdauung und Ausscheidung. Grundsätzlich hat Jesus mit dieser Bemerkung die Unterscheidung von reinen und unreinen Speisen aufgehoben.
Kultische Unreinheit schließt vom alttestamentlichen Gottesdienst aus und damit auch von der Begegnung mit Gott. Jesus hat nun das Verständnis von Unreinheit vertieft, indem er die tatsächliche Dimension von Unreinheit aufdeckt hat. Die Quelle von Unreinheit ist im Menschen selbst zu suchen. Er steht unter dem Diktat der Sünde, die ihn vergiftet. Das Böse als Widerspruch und Widerstand gegen Gott beherrscht Menschen unentrinnbar bis ins Zentrum ihrer Person (= Herz). Dieses vom Bösen diktierte Sein des Menschen wirkt sich aus bis in die Lebensvollzüge hinein. Diese Auswirkungen werden mit zwölf Substantiven umschrieben (sechs im Plural, sechs im Singular), auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden soll. Da die Gebote Gottes letztlich auf Liebe zielen, ist es nicht verwunderlich: das Fehlverhalten, gekennzeichnet durch die zwölf Substantive, beinhaltet in konzentrierter Form einen tödlichen Liebesentzug. Mit dieser niederschmetternden Diagnose endet der Abschnitt.
Nun bleibt die Frage: Was kann Menschen verändern? Besser: Wer kann Menschen verändern? Obwohl nicht direkt ausgesprochen bietet der Text eine Antwort: Die Person, die das wirklich kann und tun wird, ist Jesus selbst. Darum sucht er das Gespräch mit den Menschen – mit den Pharisäern und Schriftgelehrten, mit der Bevölkerung von Galiläa, mit den Jüngern und schließlich mit uns selbst. Eine Veränderung der Identität ist nötig – in der Sprache des Alten Testaments: ein neues Herz (vgl. Hes 36,25ff u.a.). Ein Bruch mit der Macht der Sünde und eine Zuordnung zu Gott, kann nur von Jesus Christus erwartet werden. Ohne ihn verlieren alle Erörterungen über „rein“ und „unrein“ ihren Sinn.
2 Hinweise für Lehre und Leben
2.1 Verirrung
Nicht nur Pharisäer und Schriftgelehrte waren gefährdet, sich trotz guter Absichten im Dschungel menschlicher Festlegungen und Satzungen zu verirren und das Heil Gottes zu verfehlen. Solche Gefährdungen lassen sich durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch verfolgen und erinnern an unsere eigene Gefährdung. Nicht immer stehen die Fragen von „rein“ und „unrein“ im Vordergrund. Doch jede Form von Gesetzlichkeit führt in eine Sackgasse.
Der Sektenexperte Kurt Hutten hat aufgezeigt, dass christliche Gemeinde immer dann gefährdet ist, wenn sie das Heil Gottes an menschliche Regeln und Voraussetzungen bindet. Das belegen die folgenden Beispiele aus den Anfängen sektiererischer Gruppen. Manche dieser Gruppen haben einen Gesundungsprozess durchlaufen (z.B. Siebenten-Tags-Adventisten), manche spielen kaum noch eine Rolle und manche verharren weiterhin in einer problematischen Ausrichtung.
„Die Perfektionisten etwa sagen: Erst musst du deine Bekehrung als klar fixiertes Erlebnis der Umkehr vorgenommen und die „völlige Übergabe an den Herrn“ vollzogen haben, dann bist du in der Gnade und hast „vollen Sieg über die Sünde“.
Die Pfingstler sagen: Der Wiedergeburt muss die Geistestaufe folgen und diese muss sich durch die Zungenrede ausweisen. Erst wenn der Heilige Geist in dir Wohnung genommen hat, hast du die Gnade und bist, als wirkliches Glied der Gemeinde des Neuen Bundes anzuerkennen‘.
Die Neuapostolischen sagen: Der Glaube an das Bibelwort und an Christi einstige Heilstaten hilft nicht. Erst wenn du durch das neuapostolische „Amt der Gnade“ die Vergebung der Sünden und durch das neuapostolische „Amt des Geistes“ den Heiligen Geist empfangen hast, bist du Gottes Kind und Hausgenosse.
Die Adventisten sagen: Du musst die dreifache Engelsbotschaft Offb 14,6-12 annehmen und statt des Sonntags den Sabbat heiligen, dann bist du in das Gottesvolk der Endzeit aufgenommen und wirst mit ihm bei der Parusie zum Hochzeitsmahl des Lammes entrückt.
Die Zeugen Jehovas sagen: Du musst dich den Lehren und der Gemeinschaft der Neuen-Welt-Gesellschaft anschließen, dich von den politischen, religiösen und kommerziellen Satansorganisationen lösen und fleißig „Felddienst“ tun, dann hast du die Garantie, dass du dem Blutbad von Harmagedon entrinnst.
Die Kirche des Reiches Gottes sagt: Du musst das „Weltallgesetz“ mit seinem Grundgebot des Altruismus[2] befolgen, dich in die „Armee des Allmächtigen“ einreihen oder gar als Glied der ,Kleinen Herde‘ dein Leben täglich opfern, dann wirst du ein Bürger im irdischen oder himmlischen Teil des kommenden Reiches Gottes werden.
Christian Röckle (Philadelphia-Bewegung) sagt: Du musst „die zwölf Merkmale als Prüfstein völliger Übergabe“ erfüllen; dann gehörst du zu den Christen des „Allerheiligsten“ und wirst Glied der Brautgemeinde, die vor der kommenden Trübsal entrückt wird.
Die Christengemeinschaft sagt: Du musst dich durch Meditation und die sieben Sakramente, besonders die Menschenweihehandlung, von den kosmischen Heilungskräften des Christus durchströmen, „durchchristen“ lassen, dann wirst du in ein höheres Sein verwandelt.
Die Christliche Wissenschaft sagt: Du musst durch eine völlige innere Kehrtwendung dazu gelangen, dass dir Gott die einzige Realität wird und alles andere: Materie, Sünde, Krankheit, Tod, als bloße Einbildung dahinfällt.
Die Anhänger Swedenborgs und Lorbers sagen: Du musst dich ernstlich bemühen, ein Leben im Sinn der Gottes- und der Nächstenliebe zu führen, dann wird Gott deine Liebe mit seiner Liebe erwidern und dich in immer höhere Vollkommenheiten gelangen lassen.
Die Mormonen sagen: Du musst die vier „Gesetze des Evangeliums“: Glaube, Buße, Taufe und Handauflegung erfüllen, dann wird dein Fortschrittsweg dich in die Himmlische Herrlichkeit führen.“[3]
2.2 Totalschaden
Die Worte von Jesus beinhalten Grundaussagen zum Menschenbild. Relevanz für ein Menschenbild haben nicht unsere Selbsteinschätzungen, sondern die Einschätzung Gottes, der uns Menschen geschaffen hat. Menschenbilder, die einen guten Kern im Menschen behaupten, klingen zwar sehr schmeichelhaft, werden aber von Jesus hinterfragt und ad absurdum geführt. Was Jesus aufdeckt, wirkt zutiefst niederschmetternd und bürstet jeden humanistisch geprägten Menschen gegen den Strich. Jedoch ist das Menschenbild, das Jesus zur Sprache bringt, an Realismus nicht zu überbieten.
Seit dem grundsätzlichen Nein des Menschen zu Gottes guten Weisungen (1Mo 3) hat der Mensch seine schöpfungsgemäße Bestimmung durchbrochen. Geschaffen zu einem Leben in Übereinstimmung mit Gott (Ebenbild Gottes, 1Mo 1,27), wird der Mensch im Widerstand gegen Gott zu einer „Götzenfabrik“ (Johannes Calvin). Dieser tiefreichende Schaden kann durch Gebote und Vorschriften nicht repariert werden, denn es handelt sich um einen Totalschaden (Röm 3,9ff). Nicht Reparatur, sondern Neuschöpfung ist not-wendig. Entsprechende Verheißungen Gottes im Alten Bund weisen in diese Richtung (vgl. Jer 31,33; Hes 11,19.20; 36,25-27).
Das Streitgespräch der Pharisäer mit Jesus unterstreicht: ein feinmaschiges Gebots- und Verbotssystem kann Menschen nicht retten. Nicht das Verhalten macht Menschen zu besseren Menschen, sondern von Gott veränderte Menschen finden zu einem neuen Verhalten. Rettung angesichts eines menschlichen Totalschadens ist allein von Gott zu erwarten. Gott hat gehandelt. Er hat Jesus Christus in die Welt gesandt. Jesus deckt die Wahrheit über uns Menschen schonungslos auf (s. oben). Das mag als unerlaubter Eingriff in die unantastbare Persönlichkeitssphäre von Menschen abgewiesen werden. Doch ohne Wahrheit gibt es keine Hilfe. Veränderung, Heilung und Neuschöpfung sind nicht nur nötig, sondern allein von Gottes Handeln in Jesus Christus zu erwarten (2Kor 5,17ff).
2.3 Umweltverschmutzung
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Von Anfang an ist er auf das „Du“ hin erschaffen. Diese Bestimmung als Gemeinschaftswesen können Menschen niemals verlieren. Was aber bedeutet es, wenn der Mensch – wie von Jesus diagnostiziert – abgrundtief böse ist? Keine Frage – das wird sich in allen seinen Lebensäußerungen und Bezügen auswirken – in seinem Verhältnis zu Gott, zu den Mitmenschen, zu sich selbst. Das wird Gemeinschaft belasten und als Umweltverschmutzung ganz eigener Art wirksam werden. Denn aus dem bösen Herzen kommen böse Gedanken, böse Entscheidungen, böse Worte und böse Taten. Weil keine Person nur Privatperson ist, wird der eigene Schaden auch immer Folgen für andere Menschen haben. Die Explosionskraft des Bösen darf nicht unterschätzt werden, wie das folgende Zitat unterstreicht:
„Das wahre Problem liegt in den Gedanken der Menschen. Es ist einfacher, die Zusammensetzung des Plutoniums zu ändern als den bösen Geist eines Menschen zu vertreiben. Was uns erschreckt, ist nicht die Explosionskraft der Atombomben, sondern die Macht der Bosheit des menschlichen Herzens, seine Explosionskraft für das Böse.“ (Albert Einstein, theoretischer Physiker)
Umgekehrt: Eine Heilung der Person wird auch positive Folgen für andere haben. August Hermann Francke (Theologe und Pädagoge) war überzeugt: „Weltveränderung durch Menschenveränderung.“ Eine grundumstürzende Veränderung des Menschen kann jedoch nicht durch ein bestimmtes Verhalten (sei es noch so fromm wie bei den Pharisäern), auch nicht durch die Einhaltung der Gebote Gottes oder selbsterdachter Regeln erzwungen werden. Ausschließlich Gottes versöhnendes Handeln in Jesus Christus verändert Menschen (vgl. 2Kor 5,17). Menschen können nichts zu ihrer eigenen Veränderung beitragen. Doch jede von Gott gewirkte tiefgreifende Veränderung wird für sie nicht folgenlos bleiben.
3 Bausteine für die Predigt
3.1 Predigtziel
Die Predigt soll aufzeigen, dass Menschen durch eine eigene selbstgerechte Frömmigkeit das Heil Gottes in Jesus Christus verfehlen, weil nur Gott den Totalschaden von Menschen aufdeckt und überwindet.
3.2 Vorschlag für einen Predigteinstieg
Für den Predigteinstieg kann die oft diskutierte Frage aufgenommen werden: Hat der Mensch einen guten Kern? Beispielsweise kann diese Frage anhand eines Zitats zum humanistischen Ideal entfaltet werden. Der Bibeltext bietet die Möglichkeit, an diese Frage anzuknüpfen und die Sicht von Jesus zur Sprache zu bringen und in die Lebenswirklichkeit der Hörer hinein zu verkündigen.
Zwei mögliche Zitate:
„Der Mensch ist ein von Natur gutes Wesen, das die Gerechtigkeit und die Ordnung lieb hat. Es findet sich überhaupt keine ursprüngliche Schlechtigkeit im menschlichen Herzen.“[4]
„Der Humanismus sieht den Menschen als gut und konstruktiv, als Wesen, welches stets ein positives Potential hat. Wenn der Mensch geboren wird, ist er gut und konstruktiv, es ist allerdings möglich, dass der Mensch durch die Entstehung oder Entwicklung innerer Ängste asozial und destruktiv wird, obwohl der Mensch an sich stets gut ist und bleibt. Wenn z.B. ein Kind wütend ist und seine Sachen kaputt macht, bleibt er in seinem Kern trotzdem gut. Er hat vielleicht Ängste entwickelt oder irgendetwas hat dazu geführt, dass er wütend wurde (z.B. er darf seine Lieblingsserie nicht schauen). Diese äußeren Umstände führen dazu, dass er sich destruktiv verhält. Das ist ein situationsabhängiger Zustand und heißt nicht, dass das Kind immer so war oder bleiben wird.“[5]
3.3 Vorschlag für Thema und Gliederung
Für die Predigt bietet es sich an, die schon genannten drei Stichworte aufzunehmen (s. unten). Sie werden von Jesus (mit anderer Formulierung) zur Sprache gebracht. Jesus bietet eine kritische Diagnose des Menschen. Zu beachten ist: Er argumentiert theologisch (also auf Gott bezogen) und nicht psychologisch, soziologisch usw., wie das im Zusammenhang moderner Menschenbilder begegnet.
Es fällt auf: Im Bibeltext wird zwar eine Diagnose angeboten, aber keine Therapie. Für die Predigt muss also eine Entscheidung getroffen werden: Soll der Hörer mit einer düsteren Diagnose entlassen werden, ohne dass ihm ein Weg der Hilfe angedeutet wird? Wohl kaum. Von daher empfehle ich unbedingt, Jesus selbst zur Sprache zu bringen. Zwar deckt Jesus ungeschminkt den Schaden auf, aber nicht ohne den Willen, diesen Schaden zu heilen (auch wenn das mit keiner Silbe erwähnt wird). Seine Worte können nicht von seiner Person und seinem Lebenseinsatz getrennt werden. Insofern liegt auch in den kritischen und schmerzhaften Worten von Jesus eine Heilsabsicht. Ob das erst am Ende der Predigt oder an anderen Stellen erwähnt wird, bleibt dem Prediger überlassen. Das Ganze ist ohnehin nur ein Vorschlag, der zum eigenen Nachdenken und Gestalten der Predigt anregen soll.
Vorschlag für Predigtthema und -gliederung:
Das Desaster des guten Menschen
- Verirrung
- Totalschaden
- Umweltverschmutzung-
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Fußnoten:
[1] Walter Grundmann: Das Evangelium nach Markus. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt 71977,Theologsicher Handkommentar Band 2, S. 190
[2] Altruismus ist eine ethische Denkweise, nach der man sich im Handeln nur vom Wohl anderer bestimmen lässt. Das Gegenteil von Altruismus ist Egoismus.
[3] Kurt Hutten: Die Glaubenswelt des Sektierers. Das Sektierertum als antireformatorische Konfession – Sein Anspruch und seine Tragödie. Hamburg: Furche, 1957. S.34f.
[4] Jean-Jacques Rousseau (französischer Philosoph und Schriftsteller, 1712-1778)
[5] Anna-Maria Skora, Das humanistische Menschenbild am Beispiel Carl Rogers, Studienarbeit 2006