Predigtthema: Hoffnung (nicht nur) am Grab
Predigttext: Joh 14,1-7
1 Erläuterungen zum Text
Das Johannes-Evangelium kann in zwei große Abschnitte untergliedert werden:
• Das Buch der Zeichen (Joh 1-12)
• Das Buch der Passion (Joh 13-21)
In diesem zweiten Teil begegnen die sog. Abschiedsreden von Jesus (Joh 13,31-16,33). Sie sind seelsorgerliche Worte, die Jesus seinen Jüngern zuspricht. Er weiß, woher er kommt, wohin er geht und dass er wiederkommen wird (14,1ff).
Einige Anmerkungen zum vorgegebenen Bibelabschnitt:
14,1: Jesus kündigt sein Weggehen an (13,33.36-38).Das beunruhigt und erschreckt die Jünger (vgl. 14,27). Was kommt nun auf sie zu? Diese Unsicherheit betrifft den weiteren Weg von Jesus, aber auch ihren eigenen Weg. Dieser ist ja aufs Engste mit dem Weg von Jesus verbunden. Auf diesem Hintergrund ruft Jesus zum Glauben. Der Imperativ (Befehlsform) „Glaubt an Gott und an mich glaubt!“ kann auch als Indikativ (Wirklichkeitsform) wiedergegeben werden: „Ihr glaubt (ja) an Gott und an mich glaubt ihr.“ Beide Aussagen sind als Chiasmus formuliert, also in Über-Kreuz-Stellung der korrespondierenden Ausdrücke, um ihnen Nachdruck zu verleihen. Sie betonen: Der Glaube an Gott ist an Jesus zu bewähren. Doch was soll Jünger zum Glauben bewegen, wenn Jesus weggeht?
14,2f: Das Ziel von Jesus lautet nicht: „Ich bin dann mal weg!“ Vielmehr versichert Jesus seinen Jüngern: „Ihr sollt sein, wo ich bin!“ Der Abschied von Jesus ist mit einer hoffnungsvollen Perspektive verbunden. Sie wird in Gestalt eines Bildes vor Augen gemalt: ein Haus mit vielen Wohnungen. Der himmlische Vater („mein Vater“) als Hausherr verfügt über diese Wohnungen. Jesus geht nun weg, um diese „Stätte“ vorzubereiten. Die Wohnungen im Haus des Vaters sind zwar schon vorhanden und bezugsfertig. Doch weil Menschen Gott nicht in ihr Leben hineinlassen (vgl. 1,11) und deshalb an Gott und an ihren Mitmenschen schuldig werden, haben sie kein Wohnrecht. Jesus bereitet nun alles vor, um für Menschen ein Wohnrecht bei Gott zu erkaufen. Er bezahlt teuer dafür – mit seinem Leben. Soviel Einsatz sind ihm Menschen wert.
Genau das sollen die Jünger (und mit ihnen auch wir) hören: Jesus verschafft Raum bei Gott – ein Bleibe-Recht bei Gott, ein Zuhause bei Gott. Wo Jesus ist, sollen auch die an ihn Glaubenden sein – in der unzerstörbaren Lebensgemeinschaft Gottes (vgl. Röm 8,35ff). Angesichts dieser Perspektive erscheint der Glaube an Gott/an Jesus (14,1) nicht mehr als Zumutung, sondern beinhaltet Trost und Hoffnung.
14,4-6: Nun lenkt Jesus den Blick vom Ziel auf den Weg. Er geht davon aus, dass die Jünger diesen Weg kennen, der zum Ziel führt. Doch Thomas (vgl. 11,16; 20,24ff), widerspricht: Den Jüngern sei nicht klar, wohin Jesus geht. Deshalb können sie auch nicht wissen, wie der Weg dorthin aussieht. Die Antwort von Jesus stellt klar: Es kommt aufs Gehen an, aufs Nachfolgen, nicht aufs Fragen und Diskutieren. Denn der Weg liegt direkt vor den Jüngern. Jesus selbst ist der Weg zu Gott, weil er die Wahrheit Gottes und das Leben Gottes verkörpert. Wer also Jesus begegnet, begegnet dem lebendigen Gott (vgl. 1,18). Wie der Vater hat der Sohn „das Leben in sich selbst“ (5,26). Er ist „Auferstehung und Leben“ (11,25). Wahrheit und Lebensfülle eröffnet Jesus allen, die sich ihm anvertrauen.
Jesus ist nicht nur ein Weg von vielen, sondern der Weg, auf dem Gott zu uns kommt und der uns zu Gott kommen lässt. Das wirkt exklusiv und absolut (vgl. Apg 4,12). Diese Absolutheit wird aber nicht für die christliche Gemeinde, nicht für eine bestimmte Theologie oder Lehre behauptet. Sie ist ausschließlich auf Jesus Christus bezogen.
14,7: Das Erkennen des himmlischen Vaters ist an das Erkennen von Jesus gebunden. Dabei umschreibt „Erkennen“ keinen theoretischen Vorgang, sondern ein eminent praktisches Geschehen. Wer Jesus kennenlernt (= erkennt), lernt Gott kennen. Wer Jesus begegnet, begegnet Gott. Wer Jesus sieht, sieht Gott.
Die Jünger haben gute Chancen, Jesus kennenzulernen. Ein Jünger ist ein Schüler, der bei Jesus in die Schule geht. Er lernt von seinem Meister – nicht am Schreibtisch oder auf der Schulbank, sondern indem er Jesus nachfolgt. Die Jünger sind dabei, als Jesus predigt, mit ihnen betet. Sie verfolgen die theologischen Auseinandersetzungen, die Jesus mit seinen Gegnern führt. Sie erleben, wie Jesus sozialen Nöten von Menschen begegnet und wie er Gescheiterten eine Chance gibt. Sie hören, was er zu Ehe und Familie und zum Umgang mit Geld zu sagen hat. Bei ihm können sie studieren, was es heißt, Gott zu lieben und was das für den Umgang mit den Mitmenschen bedeutet. Jesus lässt seine Schüler an seinem Leben teilnehmen. Wer so dicht an Jesus dran ist, erfährt: So ist Gott!
2 Hinweise zu Lehre und Leben
2.1 Zukunftsangst
Vor einigen Jahren hat sich mir ein Zeitungsartikel tief eingeprägt:
Auf einem Güterbahnhof standen zum Ent- und Beladen einige Züge. So auch ein Güterzug mit einigen Kühlwagons. Der Arbeitstag war zu Ende. Die Wagons wurden abgeschlossen.
In einem der Wagons hat man allerdings jemanden übersehen. Aus Versehen wurde die Person eingeschlossen. Als am nächsten Morgen die Wagons wieder geöffnet wurden, fand man die Leiche dieses Menschen. Er war erfroren. Was für eine Tragik! Die Aufregung war natürlich groß.
Noch größer war die Aufregung, als man feststellte: Das Kühlaggregat war gar nicht eingeschaltet! Der Mann war an seiner Hoffnungslosigkeit erfroren – bis hin zu den körperlichen Anzeichen dafür.
Das gibt es also: Ein Mensch im Kühlwagon geht an der Hoffnungslosigkeit seiner Situation zugrunde, obwohl doch eigentlich Grund zur Hoffnung besteht. Diese tragische Geschichte ist ein Gleichnis für die „Kühlwagons“ menschlichen Lebens:
• Geliebte Menschen werden von unserer Seite gerissen, die unser Leben mit ihrer Gegenwart warm und hell gemacht haben. Wie soll es ohne sie weitergehen?
• Verlusterlebnisse wecken tiefe Sorgen: Arbeitslosigkeit, Krankheit, Trennung usw. Was soll nun werden?
• Träume und Lebensziele zerplatzen wie Seifenblasen – plötzlich und schmerzhaft. Worauf kann ich jetzt hoffen?
• Wir verstecken uns in der gefährlichen Kälte des Streites und schlagen die Türen von innen zu. Damit bleiben wir gefangen in unserer Enttäuschung und Unversöhnlichkeit. Gibt es keine Lösung?
• Wenn es gelingt, all diese „Kühlcontainer“ zu bewältigen, so bleibt eine letzte Frage: Was ist, wenn alles zerbricht, wenn irgendwann unser eigenes Leben zerbricht? Ist das das Ende?
Unser eigenes Sterben begegnet als tödlicher „Kühlcontainer“. Er lässt wirklich alle Hoffnungen erfrieren und lässt uns keine Chance mehr, noch irgendetwas zu tun.
Unruhe, Ungewissheit und Angst sind Begleiter menschlichen Lebens (vgl. 16,33). Sie provozieren Sehnsucht nach Hoffnung. Hoffnung, um zu leben und manches überleben zu können. Hoffnung für unser Sterben, sonst gehen wir kaputt. Menschen brauchen Hoffnung, die im Leben und im Sterben trägt. Um hoffen zu können, braucht es ein tragendes Fundament!
Auch die Jünger sehnen sich nach Vergewisserung, Orientierung und einem verlässlichen Fundament. Und Jesus? Er fordert auf zu glauben. Verfügbare Sicherheiten gibt er den Jüngern nicht an die Hand. Ihre Angst nimmt er ihnen nicht durch genaue Vorhersagen. Er ruft zum Glauben – jedoch nicht ins Blaue hinein. Die Jünger haben Jesus im Nachfolgen bereits kennengelernt. Sie haben bei ihm tiefgreifende Erfahrungen gewonnen, die ihr Leben verändert haben. Sie stehen in der großen Tradition eines Volkes, mit dem Gott seine besondere Geschichte hat (z.B. Exodus). Nun ruft sie Jesus zum Glauben.
2.2 Hoffnungsziel
Jesus bietet lebendige, existenzielle Gewissheit. Sie ist von Sicherheit zu unterscheiden. Sicherheit gibt es weder in Gestalt unfehlbarer Personen und Ämter (z.B. Papsttum) noch in Gestalt von Institutionen (z.B. Kirchen und Gemeinden). Der Glaube ist ausschließlich auf Gott bezogen, der allein vollkommen ist. Auch mitten in seiner Zuwendung zu uns Menschen bleibt er der Unverfügbare. Schon die Kundgabe des Gottesnamens „Jahwe“ gegenüber Mose beinhaltete sowohl Enthüllung als auch Verhüllung. Gott wahrt seine Freiheit. An diesen Gottesnamen knüpft Jesus mit seinen „Ich-bin-Worten“ an.
Als endliche Geschöpfe sind Menschen auf Vertrauen angewiesen. Sie ruhen nicht in sich selbst und ihren (vermeintlichen) Sicherheiten. Im Vertrauen zu Gott wächst Gewissheit. Auch in jeder zwischenmenschlichen Beziehung geschieht es so: Niemand kann sich der Liebe und Treue eines anderen Menschen sicher sein, wohl aber zutiefst gewiss sein. In gleicher Weise sind Menschen im Vertrauen zu Gott gut aufgehoben. Denn in Jesus Christus kommt Gott uns Menschen weit entgegen.
Das Vertrauen, zu dem Jesus ruft, ist nicht allein auf Gott gerichtet, sondern auch auf Jesus selbst. Damit wird sichtbar: Jesus ruft nicht nur als Bote Gottes zum Glauben, sondern auf ihn selbst bezieht sich der Glaube. Jesus ist nicht nur Verkündiger, sondern auch Verkündigter. Er ist nicht nur Heilsbringer, sondern auch Heilsziel.
Das Heilsziel wird von Jesus in einer großen Vision von den Wohnungen bei Gott (hier kann das Bild der Wohnung meditiert werden) dargestellt. Seine Vision gehört nicht ins Reich überspannter Utopien, sondern umschreibt eine großartige Perspektive für Menschen, die diesem Wort von Jesus glauben. Die Zukunft bei Gott wird keine Rückkehr in den Garten Eden sein. Das Bild von den Wohnungen in einem Haus lässt eher an eine Stadt denken (vgl. Offb 21). „Die Geschichte unserer Erlösung beginnt in einem Garten und endet in einer Stadt“ (Ray Bakke). Die Geschichte wird also mit der Heilung der Schöpfung und der Heilung der Zivilisation beschlossen. In dieser Stadt wird es keinen Tempel mehr geben (Offb 21,22), denn er ist nicht mehr nötig. Gott selbst wird in unmittelbarer Begegnung mitten unter den Seinen wohnen (vgl. Offb 21,3f). Der Tod ist überwunden.
Das ist Hoffnung (nicht nur) am Grab. Sie überschreitet den Horizont unseres irdischen Lebens. Am Ziel unseres Lebens nimmt uns Gott in Empfang und bietet uns ein ewiges Zuhause. Diese Hoffnung ragt schon jetzt in unsere Lebenswirklichkeit hinein und wirft ihr Licht auf unseren Lebensalltag. Das kann und wird nicht ohne Folgen bleiben.
2.2.1 Nach-Hause-Weg
Durch seine Lebenshingabe hat Jesus einen Weg zu Gott eröffnet. An Jesus vorbei führt kein Weg zu Gott. Nur durch ihn finden Menschen eine Bleibe bei Gott, ein Zuhause. In dieser Ausschließlichkeit betont Jesus (14,6): „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Schon im AT begegnet das Bekenntnis zu Jahwe als dem einzigen, der es verdient, „Gott“ genannt zu werden. Die neutestamentliche Gemeinde knüpft daran an und unterstreicht: Dieser eine, Jesus von Nazareth, ist der Herr. Er und sonst kein anderer. Mit Karl Barth kann festgehalten werden: „Alles wird von Jesus Christus erwartet und von Jesus Christus wird alles erwartet.“
Das Ich-bin-Wort von Jesus assoziiert Gedanken zum „Nach-Hause-Weg“:
Den Weg sehen: Der Anspruch von Jesus gilt konkurrenzlos – auch im Zeitalter des Toleranzgebotes. Jesus ist der alleinige Weg zu Gott. Er verkörpert den einzigen Zugang zu den Wohnungen Gottes als Heilsziel. Dieser Weg lässt sich nicht durch andere Wege ersetzen. Auch nicht durch den für viele Menschen attraktiven Weg interreligiöser Wahrheiten. Wer den Weg sehen will, sieht Jesus als Sohn Gottes in enger Gemeinschaft mit dem Vater.
Den Weg kennen: Der Weg von Jesus ist ein Leidensweg, der nicht attraktiv erscheint. Thomas gibt zu, dass ihm dieser Weg fremd ist. Diese Offenheit wiederum erscheint uns Christen eher fremd. Nicht ohne weiteres bringen wir das Geständnis über die Lippen, wie schwer es uns fällt, dem (Leidens-)Weg von Jesus bejahend zu folgen. Christen stehen Thomas (dem Zweifler) näher, als es auf den ersten Blick scheint. Wer Jesus folgt, hat keine andere Wahl, als einem Gekreuzigten zu folgen und sich damit auseinanderzusetzen. Es geht nicht darum, Leid um jeden Preis zu suchen. Doch angesichts weltweiter Entwicklungen kann Leid auch nicht verdrängt werden. Letztlich kommt es darauf an, niemand anderes kennenlernen und anerkennen zu wollen als Christus – den gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Lebenspraxis.
Dem Weg folgen: Wer Jesus folgt, läuft ihm hinterher. Mehr nicht. Er ist genötigt, alles zu verlassen, weil er sonst Jesus nicht hinterher laufen kann. Das ist ein Schritt aus den Sicherungen des Lebens in die Unsicherheit, aber gerade so ein Schritt in die Geborgenheit der Gemeinschaft mit Jesus. Das ist ein Schritt aus dem Überschaubaren in das nicht Kalkulierbare, aber gerade so ein Schritt zum einzig Notwendigen hin. Das ist ein Schritt aus dem Bereich begrenzter Möglichkeiten in den Bereich unendlicher Möglichkeiten, aber gerade so ein Schritt in die atemberaubende Zukunft Gottes. Wer Jesus folgt, lässt sich an ihn binden, weil Jesus zum Nachfolgen ruft. Im Nachfolgen lernen Menschen Jesus kennen (14,7, s. oben), so dass die Beziehung zu ihm vertieft wird.
Den Weg zeigen: Menschen haben ein Recht, auf den Weg zu Gott hingewiesen zu werden (vgl. Ps 143,8: Tue mir kund den Weg, den ich gehen soll“). Das ist ein Menschenrecht! Christen sind also herausgefordert, unbefangen auf den Herrn hinzuweisen, dem sie selber folgen.
3 Bausteine für die Predigt
3.1 Predigtziel
Die Predigt am Ewigkeitssonntag will angesichts von Zukunftsängsten Hoffnung auf ein Zuhause bei Gott wecken und den Weg dorthin aufzeigen, der alternativlos auf Jesus Christus bezogen ist.
3.2 Thema und Gliederungsvorschlag
Thema der Predigt: Hoffnung (nicht nur) am Grab
Gliederungsvorschlag:
• Von Zukunftsangst
• Von einem Zuhause bei Gott
• Vom Weg nach Hause
3.3 Ewigkeitssonntag
Der preußische König Friedrich Wilhelm III. hat 1816 für die Evangelische Kirche per Kabinettsorder den Sonntag vor dem 1. Advent zum „allgemeinen Kirchenfest zur Erinnerung an die Verstorbenen“ bestimmt. Heute ist der sog. Totensonntag in allen deutschen Bundesländern besonders geschützt. In den lutherischen und unierten Agenden seit den Jahren um 1950 kommt der Name Totensonntag nicht mehr vor, um den endzeitlichen Charakter dieses Sonntags als Ewigkeitssonntag hervorzuheben. Damit tritt auch der Aspekt der Hoffnung stärker ins Blickfeld.
Für die Predigt ist die besondere Situation dieses Tages zu berücksichtigen. Viele Menschen suchen im Gedenken an verstorbene Angehörige deren Gräber auf. Am Grab stellt sich die Frage besonders drängend: Was können Menschen angesichts von Todeserfahrungen, Abschied-Nehmen-Müssen und Verlust von geliebten Menschen hoffen? Die Predigt bietet eine gute Möglichkeit, diese Frage aufzunehmen.
Christoph Müller