Apostelgeschichte

Predigthilfe vom 1.8.2010 – Apostelgeschichte 21, 1-17

Monatsthema: Kurs halten in stürmischen Zeiten
Predigtthema: Auf Kurs bleiben – in der Gemeinde

Bibelstelle: Apostelgeschichte 21, 1-17

Verfasser: Thomas Richter

Ein Predigttipp enthält Hilfestellungen für die Verkündigung und ersetzt deshalb nicht das eigenständige Erarbeiten des Bibeltextes und Studieren von Bibelkommentaren.

1. TEXT- UND PREDIGTZUSAMMENHANG

Nach den vielfältigen Ausführungen über die Gemeinde in Ephesus (Apg 19,1-40; 20,17-38), erfolgt nun die Berichterstattung über den Fortgang der Missionsreise hin nach Jerusalem. In diesem Sinne schildert der Predigttext (Apg 21,1-17) nun die Schlussetappe zur Erreichung des Zwischenzieles (Jerusalem). Geschildert werden verschiedene Gemeindesituationen und ihre Einwirkungen auf den Dienst von Paulus. Da die örtlichen Situationen und Bedürfnisse sehr vielfältig sind, kommt es immer wieder zu Anfragen und Wünsche aus den Gemeinden im Hinblick auf den Dienst des Paulus. Um seiner persönlichen Berufung treu zu bleiben (vgl. 19,21), muss Paulus nun auch im Hinblick auf die vielfältigen Anforderungen aus der Gemeinde Kurs halten um nicht das eigentliche Ziel aus dem Auge zu verlieren (= Predigtthema).

2. TEXT- UND PREDIGTANMERKUNGEN

Hilfen zur Auslegung und Anwendung bieten z.B.
* Werner de Boor. Die Apostelgeschichte. Wuppertaler Studienbibel. 7. Aufl. Wuppertal: R. Brockhaus, 1980. S. 380-387.
* Heinz-Werner Neudorfer. Apostelgeschichte 2.Teil. Edition C-Bibelkommentar Bd. 9. Neuhausen: Hänssler, 1990. S. 248-258.
* Alfred Christlieb. Der Apostel Paulus. Herausgegeben von Arno Pagel. 7. Aufl. Lahr: VLM, 1996. S. 317-333 (nachfolgend in Auszügen – digitalisierte Schriften im Pdf-Format von Alfred Christlieb [z.B. Apostel Paulus] findet ihr für den persönlichen Gebrauch z.B. unter http://karker.de/html/a__christlieb.html).

Zur Vorbereitung der Predigt besteht die Möglichkeit des Anhörens (im Sinne von Apg 17,11b) einer Predigt zu Apg 20,1-17 mit praktischen Anwendungen von Wolfgang Nestvogel mit dem Titel „Wie die Gemeinde große Ziele erreicht“ (Predigt vom 11.04.2010 unter http://begh.podspot.de/?page=3).

A) Auf Kurs bleiben, denn es gibt unterschiedliche Platzanweisungen durch das Wort (V. 1-3)

V. 1-3: „Bei dieser Reisestrecke hebt der Text hervor, dass der gerade, also kürzeste und schnellste Weg eingeschlagen wurde. ‚In gerader Fahrt‘ (Übersetzung Menge) wurde die erste Seestrecke zurückgelegt. Sobald ein Schiff gefunden wurde, das in der gewünschten Richtung fuhr, wurde es benutzt. Die Insel Zypern, auf der Paulus den ersten Missionserfolg erleben durfte (13,4-12), wurde links liegen gelassen. Es wurde also jeder nicht unbedingt nötige Aufenthalt vermieden. Aus einem bestimmten Grund ist diese eilige Fahrt nach Jerusalem zu beachten. Paulus hatte volle Klarheit darüber, dass in Jerusalem Bande und Trübsale auf ihn warteten (20,23). Unter diesen Umständen hätte es mancher nicht so eilig gehabt, sein Reiseziel zu erreichen. Die Versuchung lag nahe, im Blick auf die bevorstehenden Leiden, die Reise in die Länge zu ziehen und zu zögern, um noch so lange wie möglich die Freiheit zu genießen. Aber das tat Paulus nicht. Er glich seinem Meister, von dem es heißt: ‚Da die Zeit erfüllt war, dass er sollte von hinnen genommen werden, wandte er sein Angesicht, stracks gen Jerusalem zu wandeln‘ (Lk 9,51). So wollen auch wir gerade da, wo ein schwerer Weg anzutreten ist, nicht hin und her schwanken, uns nicht lange mit Fleisch und Blut besprechen, sondern ‚strackes Laufes‘ den uns gewiesenen Weg vorwärtsgehen (Gal 1,16). Dann sind wir in des Heilandes und des Apostels Fußstapfen (Joh 11,8-16)“ (Paulus, Apostel Paulus, S. 317).

B) Auf Kurs bleiben, denn es gibt unterschiedliche Lebensführungen mit dem Wort (V. 4-7)

V. 4f: „Der Ausdruck: ‚Die Jünger zu Tyrus sagten Paulus durch den Geist, er solle nicht hinauf nach Jerusalem ziehen‘ ist von manchen so verstanden worden, als hätten jene Christen auf Antrieb des Heiligen Geistes Paulus von seiner geplanten Reise abgeraten. Dann hätte Paulus natürlich dieser Bitte folgen müssen, und es wäre ein falsches Bestehen auf eigenem Willen gewesen, wenn er trotzdem nach Jerusalem ging. Aber so ist es nicht. Der Heilige Geist widerspricht sich niemals. Er nötigte den Apostel nach Jerusalem zu ziehen (20,22). Wie könnte derselbe Geist ihm von diesem Weg abraten! Dennoch lag in den Worten jener Brüder ein von Gott gegebenes Licht. Durch Erleuchtung des Heiligen Geistes hatten sie die Gefahr, welche diese Reise für Paulus mit sich brachte, erkannt. Insofern sprachen sie wirklich ‚durch den Geist‘, als sie Paulus auf die ihm drohende Gefahr aufmerksam machten. (Sie stimmten hierin auch völlig überein mit allen anderen von Gottes Geist stammenden Bezeugungen über die Zukunft des Apostels; 20,23). Nun fügten sie aber zu dieser von Gott gegebenen Klarheit ihre eigenen Wünsche und Gedanken hinzu, indem sie Paulus von der Reise abrieten. Ihre Liebe zum Apostel trieb sie an, ihn vor dem gefahrvollen Weg zu warnen. Wir haben also in den Worten der Christen von Tyrus eine Vermengung wahrer, gottgegebener Einsicht mit eigenen Wünschen und Gedanken zu sehen. Wie oft kommt solche Vermengung vor! Wie leicht können wir dadurch anderen zur Versuchung werden und sie von der gottgewollten Linie abbringen! Hüten wir uns doch beim Empfang einer göttlichen Klarheit davor, göttliche und eigene Gedanken zu vermengen! Wir laufen sonst Gefahr, ohne es zu wollen, unbewusst falsche Ratgeber für andere zu werden (Mt 16,22).
Der Besuch von Paulus und seinen Reisegefährten bei den Gläubigen zu Tyrus lässt uns einen Blick in die Christengemeinde dieser Stadt tun. Wir finden die Gemeinde beim Abschied des Apostels vollzählig am Meeresufer versammelt. Lasst uns sie näher anschauen und fragen: Wer gehörte zu dieser Gemeinde? Welches besondere Merkmal trug sie? Was trieb sie?
* Wer gehörte zur Gemeinde in Tyrus? Wir können ihre Zahl nicht feststellen. Im Vergleich mit der Einwohnerzahl der ganzen Stadt war es gewiss nur ein kleines Häuflein. Aber etwas anderes wissen wir: Ganze Familien haben sich dem Christentum angeschlossen. Wir sehen nicht nur Männer und Frauen, welche die Bezeichnung ‚Jünger‘ tragen, sondern auch Kinder, die mit ihnen zusammen am Gebet teilnehmen. Es gab also in dieser großen Handelsstadt da und dort einzelne Häuser, da man vereint den Namen des Herrn Jesu anrief. Ob die hier erwähnten Kinder alle schon bewusstes Glaubensleben hatten, weiß niemand von uns. Aber dass sie dahin mitgenommen wurden, wo man sich zum Gebet vereinigte, das sehen wir klar. Welch gesegnete Häuser mitten in der Stickluft des sie umgebenden Heidentums! Welcher Vorzug für die hier erwähnten Kinder, dass sie in solchen Häusern aufwachsen durften! Wohl solchen Häusern, die wie Lichtpunkte mitten in der Finsternis großer Weltstädte stehen! Gott mehre ihre Zahl auch in unserer Zeit!
* Welches besondere Merkmal trug die Gemeinde in Tyrus? Die Christen jener Stadt trugen keine äußeren Abzeichen, an denen sie zu erkennen waren. Ihre Tracht und ihr Äußeres war wie bei den andern. Dennoch beobachten wir an ihnen ein Merkmal. Worin besteht es? Der Abschied von Paulus zeigt uns ein Liebesband der Christen untereinander, wie man es in der Welt nicht zu finden pflegt. Obwohl der Apostel erst seit einer Woche bei ihnen war, begleiteten sie ihn mit ihren Familien, als ob ein naher Verwandter von ihnen scheide. Welch eine nahe, innige Liebesverbindung ist da in kurzer Zeit entstanden! Bekanntlich sollen die Heiden beim Anblick der ersten Christen oft gesagt haben: ‚Seht, wie haben sie sich untereinander so lieb‘! So musste man auch beim Anblick dieses Abschieds sagen. Hier ist das Kennzeichen und Merkmal der Gemeinde Jesu. Wohl allen, die es tragen (1Joh 4,16; 3,10+16f)!
* Was trieb die Gemeinde in Tyrus? Wir erfahren sehr wenig über das Leben und Treiben der Christengemeinde in Tyrus. Und doch treffen wir sie in jener Abschiedsstunde bei einer Beschäftigung, die ihre Zusammenkünfte kennzeichnet. Bevor Paulus mit seinen Begleitern abfuhr, knieten sie zum Gebet nieder. Hier sehen wir eine Betätigung der Jüngerschaft, die in der Gemeinde Jesu an erster Stelle steht (1Tim 2,1-4,8). Es ist das gemeinsame Gebet. Mit Gebet pflegte man die Versammlungen zu beginnen und zu schließen. Gebet war ihre Waffe gegen innere und äußere Feinde (4,24-31; 12,5). Gebet war ihre Freude und ihre Stärke. Die Gemeinde Jesu ist eine Beterschar und soll es bleiben. Wohl allen, die zu ihr gehören und sich des gemeinsamen Gebets nicht schämen.
Der Anblick jener Gebetsversammlung gibt uns einen Beitrag zur Beantwortung von drei brennenden Zeitfragen:
* Wie kann das Familienleben gestärkt werden und vor Zerrüttung bewahrt werden? Wir leben in einer Zeit, in der die „Zelle“ des Familienlebens vielfach bedroht wird. Was kann zu seinem Schutz geschehen? Unser Text zeigt uns christliche Familien, die vor dem Gnadenthron vereint sind. Solches gemeinsames Gebet stärkt das Familienleben besonders. Nicht in allen Christenhäusern betet man gemeinsam. Die äußere, mannigfaltige Arbeit der einzelnen Familienglieder, allerlei Berufspflichten derselben erschweren das außerordentlich. Dennoch sollte in jeder Christenfamilie darauf gesehen werden, dass die Segensmacht des gemeinsamen Gebetes nicht fehle (Esra 8,21-23)!
* Eine andere Frage, die viele Christen bewegt, ist diese: Was kann von unserer Seite geschehen, dass in lebendigen christlichen Kreisen der Nachwuchs nicht ausbleibt? Gewiss ist dies nur Sache der Barmherzigkeit Gottes. Aber doch dürfen wir die Tatsache nicht übersehen, dass gerade in solchen Häusern, wo neben dem einsamen auch das gemeinsame Gebet in rechter Weise seine Stätte hat, Gott jugendliche Herzen für seine Gnade öffnet.
* Wie können unsere Häuser vor den Gefahren des Zeitgeistes bewahrt werden? Welch ein Mammons- und Vergnügungsgeist wird wohl in jener großen Handelsstadt Tyrus geherrscht haben! Die Gefahr, dass dieser auch in die Christenhäuser eindringe, war ohne Zweifel vorhanden. Wie sollte man sich dagegen schützen? Gemeinsames Gebet kann eine schützende Macht gegen den verderblichen Zeitgeist bilden. Gott lasse alle Christenhäuser den Segen solcher Gebetsvereinigungen reichlich erfahren!“ (Paulus, Apostel Paulus, S. 318-320+322f).

V. 7: „Den Aufenthalt in Ptolemais benutzte Paulus dazu, die Brüder, d.h. die gläubigen Christen dieses Ortes aufzusuchen. Lasst uns bei diesem Besuch auf dreierlei achten:
* Man kannte die Brüder. Ihr Christentum war nicht etwa nur im verborgenen Herzensgrund, sondern zeigte sich in einer Weise auch nach außen. Man wusste von bestimmten Leuten, dass sie auch zu den Gläubigen gehörten.
* Man fühlte sich zu den Brüdern hingezogen. Christen ziehen einander an. Wohin Paulus auf seinen Reisen auch kam, er lenkte seine Schritte alsbald zu den Bekennern Jesu. Wie andere sich von solcher Gesellschaft abgestoßen fühlen, so zog sie ihn und seine Gefährten an.
* Man fand gastliche Aufnahmen bei den Brüdern. Paulus und seine Gefährten blieben einen Tag bei ihnen. Wie wurde doch damals in der ersten Christenheit Gastfreundschaft geübt! Wie nahm man die Genossen des Glaubens gern auf (Hebr 13,2; Röm 12,13; 1Petr 4,9; 1Mose 18,3; 19,2f). Gesegnete Schar in Ptolemais, die man als Brüder kennt, zu denen ein Paulus sich hingezogen fühlt und die willig die Boten Jesu aufnehmen!“ (Paulus, Apostel Paulus, S. 324f).

C) Auf Kurs bleiben, denn es gibt unterschiedliche Schlussfolgerungen aus dem Wort (V. 8-17)

V. 8f: „Wir kehren im Geist mit jener Reisegesellschaft um Paulus ein in das Haus des Evangelisten Philippus in der Stadt Cäsarea. Der Hausvater ist uns wohlbekannt. Wir kennen ihn als einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, dem in Jerusalem das Amt eines Almosenpflegers übertragen worden war (6,3-6). Wir kennen ihn als ein gesegnetes Werkzeug Gottes zur Erweckung in Samarien (8,5-12) und als den Mann, durch den der Kämmerer aus dem Mohrenland zum Glauben kam (8,26-40). Hier lernen wir nun auch seine ganze Familie kennen. Welch ein reiches Haus war dies! Aus drei Gründen müssen wir sagen: Ein reiches Haus!
* Zuerst deshalb, weil die Kinder dieses Hauses gläubig waren! Was ist der größte Reichtum, den ein Haus besitzen kann? Etwa Schätze an Silber und Gold? Nein, denn diese können leicht genommen werden. Wohl aber bildet wahres Glaubensleben im Herzen der Familienglieder einen unvergänglichen Reichtum (16,32-34; 18,8).
* Reich war dieses Haus auch, weil die einzelnen Familienmitglieder Gaben zum Dienst empfangen hatten. Der Vater war ein Prediger des Evangeliums. Die Töchter hatten offenbar die Gabe der Weissagung, die sie zum Nutzen anderer am rechten Ort gebrauchen konnten. Solche von Gott verliehene Gabe, die zum Bau seines Reiches gebraucht wird, ist ein wertvoller Besitz.
* Reich war das Haus auch deshalb, weil Gastfreundschaft darin geübt wurde. Philippus nahm Paulus mit seinen Reisebegleitern auf. Gewiss mochte diese Aufnahme manche äußere Arbeit mit sich bringen. Aber wie groß war der innere Gewinn! Häuser, die Gotteskinder gern aufnehmen, bereichern dadurch sich selbst. Das Haus von Philippus ist in Wahrheit ein reiches Haus zu nennen“ (Paulus, Apostel Paulus, S. 325f).

V. 10-13: „Das Auftreten eines Propheten ist etwas Besonderes. Bei einem derartigen Ereignis taucht immer wieder die Frage auf: Ist die Sache echt? Woran erkennt man die Richtigkeit der Prophezeiung? Bei der Weissagung des Agabus lässt uns der Text ein dreifaches Merkmal der Echtheit erkennen:
* Zuerst beweist seine Bezeichnung (‚Es reiste herab ein Prophet mit Namen Agabus‘), dass dieser Mann eine prophetische Gabe gehabt haben muss, die von der Gemeinde anerkannt war. Man würde ihn nicht einen Propheten genannt haben, wenn nicht prophetische Erleuchtung bei ihm offenbar geworden wäre. Nicht erst hier bei seinem Besuch in Cäsarea, sondern schon früher muss sich diese Gabe bei ihm gezeigt haben. Es ist bedenklich, sich den Prophezeiungen eines Menschen anzuvertrauen, von dessen Erleuchtung in der Gemeinde Gottes kaum jemand etwas weiß.
* Ein zweites Merkmal der Echtheit dieses Propheten liegt darin, dass der Inhalt seiner Weissagung in keiner Weise dem widersprach, was in der Gemeinde Jesu bisher offenbart worden war, vielmehr in vollem Einklang damit stand. Die Worte des Agabus bestätigten und ergänzten das, was Gottes Geist hin und her in den Städten der Gemeinde bezeugt hatte (20,23). Das weckt Vertrauen. Lasst uns nie einer Weissagung trauen, die nicht übereinstimmt mit dem, was Gott seiner ganzen Gemeinde an Licht in seinem Wort gegeben hat. Propheten, die von diesem Licht abweichen, müssen abgelehnt werden, wenn sie auch noch so gewaltig auftreten.
* Ein drittes Kennzeichen der Echtheit sehen wir in der Wirkung der Worte des Agabus. Es herrschte völlige Einmütigkeit unter den Christen Cäsareas darüber, dass das von Agabus geweissagte Ereignis eintreffen werde. Keiner zweifelte daran. Ihre Bitte an Paulus, nicht nach Jerusalem zu gehen, stammt aus ihrem Glauben an die Erfüllung dieser Weissagung. Wenn irgendein Mensch den Anspruch erhebt, sein Wort sei ein von Gott gegebenes, prophetisches, so lasst uns zusehen, ob diese drei Kennzeichen bei ihm gefunden werden.
Die an Paulus gerichtete Bitte, nicht nach Jerusalem zu reisen, war eine Versuchung für den Apostel. Sie hätte ihn von gottgewiesener Bahn abbringen können. Aus drei Gründen war diese Versuchung besonders stark und gefährlich:
* Sie kam von gläubigen Menschen her. Nicht ungeistlich urteilende Weltkinder, sondern wahre gläubige Christen baten ihn, seinen Weg nach Jerusalem aufzugeben. Es kann auch an uns nicht nur von ungläubiger Seite her eine Versuchung herantreten. Auch von Gotteskindern kann ein Einfluss ausgehen, der uns vom gottgewollten Pfad abdrängt.
* Ferner war diese Versuchung so stark, weil so viele sich zu der Bitte vereinigten. Nicht nur vereinzelte Christen baten Paulus, von Jerusalem fern zu bleiben, sondern ‚wir und die desselben Ortes waren‘, d.h. die Reisegefährten und Mitarbeiter des Apostels (‚wir‘) und die gläubigen Christen der Stadt Cäsarea (‚die desselbigen Orts waren‘). Durch diese Vereinigung hätte Paulus schwankend und unsicher werden können, ob er nicht doch lieber sein Reiseziel aufgeben solle.
* Zuletzt lasst uns die dringende Art des vereinten Bittens beachten. Sie baten unter Tränen (‚Was macht ihr, dass ihr weint?‘). Man stelle sich einmal das Bild vor, wie die Mitarbeiter, die Hausgenossen und andere gläubige Christen weinend vor Paulus stehen und ihn inständig bitten, von der Reise nach Jerusalem Abstand zu nehmen. Wir merken aus der Antwort des Apostels, wie tief diese Bitte sein Gemüt bewegte (‚und brecht mir mein Herz‘). Aber es war eine Versuchung, die abgewiesen werden musste. Wohl uns, wenn wir in ähnlichen Stunden die Gnade eines festen Herzens empfangen, das sich nicht einen Augenblick von dem Auftrag Gottes abbringen lässt (Ps 17,5; 119,29+133; Mt 16,22-25)!
Die Antwort von Paulus vermied zwei Abwege. Auf der einen Seite vermied er es, sich auf die Versuchung einzulassen, den Weg nach Jerusalem zu unterlassen und so den ihm befohlenen Kreuzesweg zu umgehen. Auf der anderen Seite gab er den bittenden Brüdern keine scharfe und schroffe Antwort. Er wies vielmehr ihre Bitte auf eine solche Weise zurück, die ihnen wohltun und es ihnen leicht machen musste, sich in die Ablehnung ihres Wunsches zu fügen. Er ließ sie fühlen, wie tief er innerlich mit ihnen empfinde und wie schwer es ihm werde, die Bitte nicht erfüllen zu können. In seinen Worten verband er eine weiche Zartheit des Gemütes mit einer stahlharten Festigkeit des Willens. So vereinigen seine Worte Strafe und Trost miteinander. Die in der Frage liegende Versuchung wies er mit unerbittlicher Entschlossenheit zurück. Die in der Frage sich kundtuende Liebe erwiderte er zart und freundlich. So blieb er mit ihnen in rechter Liebesverbindung, dass sie sich nicht nur in seine Abreise fügten, sondern dass auch ein Teil der dortigen Brüder ihm das Geleit gab (21,16). Wie selten findet man eine solche Verbindung von Zartheit und Festigkeit. Hier findet man Jesu Bild in seinem Jünger wieder (Lk 22,15; Mt 16,23)“ (Paulus, Apostel Paulus, S. 326-329).

V. 14: „Das Wort: ‚Wir schwiegen und sprachen‘ klingt wie ein Widerspruch. Wer schweigt, spricht nicht, und wer spricht, schweigt nicht. Aber dieser Widerspruch ist nur scheinbar. ‚Wir schwiegen‘ heißt: Wir hörten auf, noch weiter in Paulus zu dringen. Unser Bemühen, ihn von der Reise nach Jerusalem zurückzuhalten, nahm ein Ende. Unser Bitten verstummte. Wie ungeistlich wäre es gewesen, wenn jene Christen nicht aufgehört hätten, Paulus von der Unrichtigkeit seines Entschlusses überzeugen zu wollen, wenn sie immer aufs neue versucht hätten, ihn zum Bleiben zu bewegen. Ihr Schweigen lässt ihre gebeugte Herzensstellung erkennen. Sie wollen nicht um jeden Preis ihren Willen durchsetzen und das letzte Wort behalten. Sehen wir zu, dass jene Brüder in Cäsarea uns nicht beschämen, wenn wir einmal auf eigene Wünsche und Meinungen verzichten müssen. (2Sam 15,25f; 1Mose 21,11-14)“ (Paulus, Apostel Paulus, S. 330).

V. 17: „Unser Text erzählt uns den Empfang des Apostels und seiner Gefährten bei den Christen in Jerusalem. Dieser Empfang war ein herzlicher (die Brüder nahmen uns ‚gern‘ auf) und soll uns beschäftigen:
* Wachsendes Vertrauen: Nicht immer war Paulus so aufgenommen worden. Als er nach seiner Bekehrung zu den Christen Jerusalems kam, wurde er äußerst vorsichtig und zurückhaltend behandelt. Man traute ihm nicht recht (9,26). Als er später zum sogenannten Apostelkonzil in Jerusalem eintraf, wurde er mit seinen Gefährten ‚empfangen‘ (15,4). Das war ein großer Fortschritt. Jetzt, wo er am Schluss seiner letzten Missionsreise noch einmal dort ankam, wurde er ‚gern aufgenommen‘. Es ist ein Fortschritt des Vertrauens bemerkbar, das Paulus im Lauf der Jahre bei der Urgemeinde genießen durfte. Erst wurde er abgelehnt, später ‚empfangen‘ und zuletzt ‚gern aufgenommen‘. Dieses langsam wachsende Vertrauen kann solchen Brüdern Mut machen, die in irgendeinem Arbeitsfeld, wo man sie noch nicht näher kennt, zunächst etwas bedenklich aufgenommen werden. Wenn solche Brüder nur treu in der Demut arbeiten, niemals das Ihre, sondern die Sache des Herrn suchen, so wird der Herr ihnen zur rechten Zeit, wenn auch nicht auf einmal, das Zutrauen der gläubigen Christen zuwenden, ohne das eine fruchtbare Arbeit im Reich Gottes kaum möglich ist.
* Zurückgewiesene Gerüchte: In Jerusalem war eine gewisse Missstimmung gegen Paulus entstanden. Allerlei Verdächtigungen betreffend seine rechte Stellung zum Gesetz waren in Umlauf gesetzt worden (‚Es ist ihnen aber berichtet worden wider dich, dass du lehrst von Mose abzufallen‘, V. 21). Der herzliche Empfang des Apostels beweist uns, dass die Brüder in Jerusalem sich nicht durch all die gegen Paulus umlaufenden Gerüchte so einnehmen ließen, dass sie ihn etwa kühl und zurückhaltend empfangen hätten. Nein, sie haben ihn trotz der vorhandenen Missstimmung herzlich und freundlich aufgenommen. Sie haben ihm nicht wegen seiner größeren Freiheit dem Gesetz gegenüber die Liebe entzogen, sondern ihn brüderlich behandelt. Lasst uns von diesen Brüdern auch für unsere Zeit lernen. Wie leicht lassen wir uns durch diese und jene vielleicht ganz unbegründeten Gerüchte hinreißen, einem treuen Bruder in wehtuender Weise kalt zu begegnen. Wir haben kein Recht, uns gegen einen Mitchristen unbrüderlich zu stellen, weil er in irgendeiner Lehranschauung nicht ganz mit uns übereinstimmt. Treten wir in die Fußstapfen der Brüder, die Paulus trotz dieser Gerüchte und dieser Missstimmung ‚freundlich aufnahmen‘ (Übersetzung Menge).
* Eine Erquickung vor dem Leidensweg: Wie schön ist es zu sehen, dass Gott seinen Knecht vor dem beginnenden Leidensweg noch einmal erquickte. Die freundliche Aufnahme war für Paulus eine große Freude. Wir wissen, wie wichtig ihm allezeit die brüderliche Verbindung mit der Muttergemeinde in Jerusalem gewesen ist. Nun durfte er es erleben, dass ihm volle brüderliche Liebe und herzliches Zutrauen von Seiten der leitenden Brüder entgegengebracht wurde. So sorgt Gott, dass es seinen Knechten schon hinieden bei allem schweren Dienst auch an inneren Erquickungen nicht fehlt, bis einst die Ankunft im neuen Jerusalem ihnen ewige Freude bringen wird“ (Paulus, Apostel Paulus, S. 331-333).

3. TEXT- UND PREDIGTSCHWERPUNKT

Unsere Predigtübersicht 2010 (beim Gemeinschaftsleiter erhältlich) benennt als möglichen Schwerpunkt für die Predigt das Thema „Prophetie“. Im Hinblick auf die Definition dieser Form von Gemeindeprophetie sind folgende Schriftstellen zu berücksichtigen: 1Kor 14,3+29-38; 1Thess 5,20f.
Das Problem bei der Gemeindeprophetie (= Eindruck bzw. Einblick vom Herrn her) liegt vor allem in der Anwendung. Wie ist das vom Herrn „Gezeigte“ zu verstehen? Aus diesem Grund geht es bei der Gemeindeprophetie (im Gegensatz zur atl. bzw. ntl. Prophetie) nicht um das „automatische Gehorchen“, sondern zuerst um das „Verstehen“ und dann um das „Gehorchen des im Sinne Gottes Verstandenen“. Zu diesem Verstehen der Gemeindeprophetie braucht es das beurteilende Mitwirken der Gemeinde (1Kor 14,29-38; 1Thess 5,20f)! Hier liegt der zentrale Unterschied der auferbauenden Gemeindeprophetie (vgl. 1Kor 14,3; Röm 12,6 mit Röm 12,3 = Illumination) zur grundlegenden atl. bzw. ntl. Schriftprophetie (2Tim 3,16f; 2Petr 1,20f = Inspiration). Damit wird deutlich, dass nicht jede Prophetie Predigt bzw. Lehre ist (beachte Eph 4,11; 1Kor 12,28f), sondern dass es in der Predigt bzw. Lehre prophetische Elemente gibt. Dieses prophetische Element (das nicht mit der Predigt gleichzusetzen ist – vgl. zum Ablauf 1Kor 14,29ff) hat seinen Raum in der Gemeinde, findet aber unter der Beurteilung der Gemeinde statt (vgl. auf diesem Hintergrund auch Apg 21,9 mit 1Tim 2,12).

4. PREDIGTGLIEDERUNG

Auf Kurs bleiben in der Gemeinde, denn es gibt
a) unterschiedliche Platzanweisungen durch das Wort (V. 1-3)
b) unterschiedliche Lebensführungen mit dem Wort (V. 4-7)
c) unterschiedliche Schlussfolgerungen aus dem Wort (V. 8-17)

oder nach Alfred Christlieb:
a) Ein Ort, an dem alle zusammenkommen
b) Ein Wille, dem sich alle unterwerfen
c) Eine Ehre, die alle suchen

oder nach Wolfgang Nestvogel: Wie Gemeinde große Ziele erreicht
a) Die unermüdliche Fürsorge der Glaubensgeschwister
b) Die unbeirrbare Bereitschaft der Einzelnen
c) Der unfehlbare Plan Gottes