Apostelgeschichte

Predigthilfe vom 22.8.2010 – Apostelgeschichte 22, 23 -23,11

Monatsthema: Kurs halten in stürmischer Zeit
Predigtthema: Auf Kurs bleiben – in der Verleumdung

Bibelstelle: Apostelgeschichte 22, 23 -23,11

Verfasser: Thomas Richter

Ein Predigttipp enthält Hilfestellungen für die Verkündigung und ersetzt deshalb nicht das eigenständige Erarbeiten des Bibeltextes und Studieren von Bibelkommentaren.

1. TEXT- UND PREDIGTZUSAMMENHANG

Hier schließt sich für Paulus nun wieder der Kreis zur Erkenntnis des Willens Gottes, denn der Herr bestätigt, was er will (vgl. Apg 19,21 mit 23,11). Paulus hat Kurs gehalten in stürmischer Zeit und so kann ihn der Herr bestärken (= Predigttext: Apg 22,23-23,11), weil er auf Kurs geblieben ist, auch in der Verleumdung (= Predigtthema). Da die Predigt unsere Reihe über die Missionstätigkeit des Paulus beschließt, ist es hilfreich Rückblicke in die Predigttexte der letzten drei Monate zu gewähren.

2. TEXT- UND PREDIGTANMERKUNGEN

Hilfen zur Auslegung und Anwendung bieten z.B.
* Werner de Boor. Die Apostelgeschichte. Wuppertaler Studienbibel. 7. Aufl. Wuppertal: R. Brockhaus, 1980. S. 402-409.
* Heinz-Werner Neudorfer. Apostelgeschichte 2.Teil. Edition C-Bibelkommentar Bd. 9. Neuhausen: Hänssler, 1990. S. 281-292.
* Alfred Christlieb. Der Apostel Paulus. Herausgegeben von Arno Pagel. 7. Aufl. Lahr: VLM, 1996. S. 364-383 (nachfolgend in Auszügen – digitalisierte Schriften im Pdf-Format von Alfred Christlieb [z.B. Apostel Paulus] findet ihr für den persönlichen Gebrauch unter http://karker.de/html/a__christlieb.html).

Zur Vorbereitung der Predigt empfehlen wir das Anhören (im Sinne von Apg 17,11b) der textbezogenen Predigt zu Apg 22,30 – 23,11 mit praktischen Anwendungen von Wolfgang Nestvogel mit dem Titel „Wenn der Heilige Geist und prägt“ (Predigt vom 23.05.2010 unter http://begh.podspot.de/?page=2).

A) Bewahrung erfahren (22,23-29)

„Aus dem Wutausbruch und dem Toben der Volksmassen gegen Paulus wollen wir drei stärkende und tröstende Lehren für die Jünger Jesu entnehmen:
* Christen schauen nicht auf die Masse: Niemals braucht sich ein Christ durch Behauptungen großer Volksmassen schwankend und unsicher machen zu lassen. Wir leben in einer Zeit großer Massenkundgebungen. Wir wollen über dieselben keinerlei Urteil fällen. Aber soweit dieselben sich mit Fragen der Religion oder des Glaubens befassen, sagen wir: Niemals lassen wir uns in diesem Gebiet durch irgendwelche Behauptungen großer Volksmassen beeinflussen und fortreißen. Wir prüfen die Richtigkeit aller Aussagen nicht nach der Menge und dem Eifer ihrer Verfechter, sondern allein nach der Übereinstimmung mit dem Wort Gottes.
* Christen starren nicht auf den Erfolg: Kein Zeuge Jesu braucht den Mut zu verlieren, wenn einmal jeder sichtbare Erfolg seines Zeugnisses ausbleibt. Paulus hatte eine Rede voll göttlicher Kraft und Weisheit gehalten. Man hätte tiefe innere Segnungen, Erweckungen und Bekehrungen bei den Zuhörern erwarten können. Stattdessen war Unwille, Wut und Zorn das Resultat seines Zeugnisses. Das mag manchem Knecht Gottes zum Trost dienen, der die gewünschte Frucht des Wortes nicht zu sehen bekommt. Es mag auch andere davor bewahren, allzu schnell über einen Zeugen Jesu ein Urteil zu fällen, dessen Wort nicht gleich von Erfolg begleitet ist. Niemand sage von einem solchen, es müsse irgendetwas bei ihm nicht stimmen, weil seine Verkündigung nicht sichtbare Frucht bringt. Paulus wandelte und redete sicherlich vor Gott, dennoch richtete hier sein Wort, soweit Menschenaugen sehen, nichts aus.
* Feinde halten Christi Sache nicht auf: Ein dritter Trost, den wir dieser Szene entnehmen, sei der, dass niemand den Mut zu verlieren braucht, wenn es einmal um die Sache des Wortes Gottes schlimm zu stehen scheint. Wenn man sich die Volksmenge vergegenwärtigt, die den Tod des Paulus wünscht, so war hier – menschlich gesprochen – viel Anlass zu Sorge und Angst für die Sache des Herrn Jesu. Das ganze Volk verwarf ja das Evangelium in Grund und Boden. Dennoch hat dies alles den Lauf des Wortes nicht aufgehalten. Was erreichte der ganze Wutausbruch? Er bekräftigte die Wahrheit des Wortes Jesu („Sie werden nicht aufnehmen dein Zeugnis von mir“). Er half, den Plan Jesu verwirklichen, nach welchem Paulus vor Könige den Namen Jesu tragen und auch in Rom von ihm zeugen solle. Er brachte dem Knecht Jesu mannigfache neue Glaubenserfahrungen. Lasst die Feinde ruhig toben. Sie müssen zuletzt die Sache Jesu nur fördern und seine Befehle ausrichten helfen“ (Christlieb, Apostel Paulus, S. 366f).

„Der Befehl des Hauptmanns, Paulus zu geißeln, zeigt uns einen dreifachen Fehler, der sich auch bei uns wiederholt:
* Ein falsches Urteil: Falsch war zunächst seine Beurteilung des Paulus. Der Hauptmann meinte, irgendeine schlimme Tat von Paulus müsse die Wut der ganzen Bevölkerung hervorgerufen haben. Diese Meinung war begreiflich, aber irrig. Obwohl die äußeren Anzeichen dafür sprachen, dass Paulus etwas Schlimmes getan habe, war er doch völlig unschuldig. Wie oft haben auch wir uns in der Beurteilung eines Mitmenschen geirrt! Lasst uns doch behutsam im Urteil werden und nicht schnell einen anderen für einen Übeltäter halten, weil allerlei Gründe darauf hinzudeuten scheinen.
* Eine ungerechte Strenge: Aus diesem ersten Fehler entstand der zweite: ungerechte Strenge und Schärfe in der Behandlung des Apostels. Es war damals ein Rechtsbrauch, einen Verbrecher, der seine Tat nicht eingestehen wollte, durch Geißelung zum Geständnis zu zwingen. Diesen Rechtsbrauch wandte der Oberhauptmann hier bei Paulus an. Das war eine große Ungerechtigkeit. Wenn auch das römische Reich bei gewissen Übeltätern die Folterung beim Verhör erlaubte, so durfte man dies Verfahren doch nicht ohne weiteres bei einem Mann anwenden, dessen Schuld noch gar nicht erwiesen war. Der Hauptmann durfte nicht ohne jegliche Schuldprüfung den Apostel in eine Linie mit schlimmen Verbrechern stellen. Solche Schärfe war voreilig. Beim Anblick dieses zweiten Fehlers müssen wir eingestehen, dass er auch von uns mannigfach begangen ist. Jeder Leiter einer Gemeinde, einer Schule, einer Gemeinschaft oder eines Vereins kann in diesem Punkte leicht fehlgreifen und dadurch oft für lange Zeit bei Jungen oder Alten das Vertrauen verlieren. Auch für Väter und Mütter gilt es, bei der Untersuchung einer Sache nie voreilig zu strengen und scharfen Maßnahmen zu greifen, die Schaden anrichten könnten.
* Eine unwissentliche Gesetzesübertretung: Bei seinem übereilten Vorgehen machte sich der Oberhauptmann, ohne es zu wissen und zu wollen, selbst einer Gesetzesübertretung schuldig. Er ahnte nicht, dass der Gefesselte das römische Bürgerrecht besaß. Mit seinem Befehl, den Paulus zu geißeln, hatte er seine Befugnisse überschritten und sich strafbar gemacht. Wie leicht übertreten auch wir, besonders in Zeiten der Unruhe und Aufregung die bestehende Rechtsordnung und müssen für die Folgen einstehen. Was bei dem Hauptmann vorkam, kann auch uns begegnen. Nur einer hat niemals gefehlt in der Beurteilung und Behandlung anderer Personen. Seine bewahrende Hand wollen wir suchen, dass des Hauptmanns Irrungen nicht die unsrigen werden.
Das römische Bürgerrecht war ein großer Vorzug. Ein römischer Bürger brauchte sich nicht ohne weiteres eine entehrende Behandlung seitens eines Richters gefallen zu lassen. Ein Bürger durfte nicht ohne Untersuchung gefesselt werden (V. 29 b). Auch konnte ein solcher sich auf den Kaiser berufen, d. h. verlangen, dass seine Sache unmittelbar vor dem Richterstuhl des römischen Kaisers entschieden werde (25,10-12). Dieses Bürgerrecht besaß Paulus. Unser Text erzählt uns: wie er es bekommen hatte, welchen Gebrauch er davon machte, und welche Wirkung dadurch erzielt wurde.
* Wie war Paulus römischer Bürger geworden? Erlangt hatte Paulus das Bürgerrecht nicht durch irgendwelche Bemühungen. Er hatte es ererbt (V. 28). Schon von Kindesbeinen an besaß er es. Darin dürfen wir eine Fürsorge Gottes erblicken, der im Leben des Apostels alle Umstände im Blick auf seinen späteren Beruf leitete. Wie die Bildung, die ihm zuteil wurde, so musste auch das angeborene römische Bürgerrecht zur Erfüllung seiner späteren Aufgaben dienen. Lasst uns die Vorsehung Gottes, die sich im Leben seiner Kinder erweist, anschauen, und unsern Glauben dadurch stärken.
* Wie gebraucht Paulus dieses Bürgerrecht? Die mit demselben verbundenen Vorrechte brachten für den Besitzer die Gefahr des Stolzes und falschen Selbstbewusstseins mit sich. Wie konnte man da verächtlich herabsehen auf die, welche dieses Recht nicht hatten. Selbstverständlich hat Paulus seinen Vorzug nicht in diesem Sinne missbraucht. Er ließ nie da und dort prahlerisch durchblicken, dass er römischer Bürger sei. Nur da, wo die Umstände es rechtfertigten, machte er von diesem Vorrecht Gebrauch. Hier, wo er widerrechtlich gegeißelt werden sollte, nachdem er schon körperliche Misshandlungen durch den Volkshaufen erfahren hatte (21,30-32), machte er sein römisches Bürgerrecht geltend. Eigensinnige und rechthaberische Menschen, die immer wieder ihr eigenes Recht – nötigenfalls mit Gewalt – durchzudrücken versuchen, haben kein Recht, sich auf diese Stelle und das Beispiel des Paulus zu berufen. Andererseits dürfen Jünger Jesu hier lernen, dass sie kein unnötiges Märtyrertum auf sich zu nehmen brauchen. Es gibt Fälle genug, wo sie sich still und duldend – ohne zu widersprechen – verhalten müssen. Das Wort Jesu: „Dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel“ (Mt 5,39), behält voll und ganz seine Gültigkeit. Paulus hat dies gewiss befolgt. Hier aber, wo er, ohne einen andern zu schädigen und zu verletzen, unnötige Qualen vermeiden konnte, tat er dies. So dürfen auch wir, wenn wir in der Liebe bleiben, andere auf ein Unrecht hinweisen und von dem uns zustehenden Recht Gebrauch machen. Lasst uns nur zusehen, dass wir dies, so wie Paulus, nicht in Zorn und in fleischlicher Erregung, sondern in gebührender Weise tun. Lasst uns in Pauli Fußstapfen treten, wie er Jesus nachfolgte (Joh 18,23).
* Die Wirkung des Hinweises auf das römische Bürgerrecht äußert sich in einem heilsamen Erschrecken des Oberhauptmannes. „Der Oberste hatte einen Schrecken bekommen, als er erfuhr, dass er ein römischer Bürger sei, und weil er ihn hatte fesseln lassen“ (Übersetzung Menge). Er sah ein, dass er voreilig gehandelt habe. Er wusste nun, dass der vermeintliche Übeltäter nicht wie irgendein Sklave behandelt werden durfte, sondern unter besonderem Schutz der römischen Staatsgesetze stehe. Er musste befürchten, dass die ganze Angelegenheit wegen der Überschreitung seiner Befugnisse für ihn üble Folgen haben könne. Dieses Erschrecken war heilsam und gut. Es machte ihn behutsam und vorsichtig in der ferneren Behandlung seines Gefangenen. Auf Menschen, die wenig oder gar kein geistliches Verständnis haben, macht auch heute noch der Hinweis auf eine bestehende Rechtsordnung – etwa die Erwähnung eines gewissen Gesetzesparagraphen – mehr Eindruck als alles andere. Was jede höfliche Bitte und jede sittliche Belehrung nicht bewirken könnte, das bringt bisweilen ein Hinweis auf „das römische Bürgerrecht“ in einem Augenblick fertig. Welch ein Vorzug war doch das römische Bürgerrecht! Nicht jeder von uns kann solch äußeren Vorzug erlangen. Aber ein anderes Bürgerrecht, das unendlich wichtiger ist als jenes, besitzt jeder wahre Christ im Glauben. „Unsere Gemeinde, in der wir das Bürgerrecht haben, ist in den Himmeln“ (Phil 3,20; Übersetzung Schlatter). So rühmt der Apostel, der sein römisches Bürgerrecht nur selten hervorkehrt. Wenn schon ein römischer Bürger angesehen war und nicht angetastet werden durfte, wenn er den Schutz des großen römischen Weltreiches genoss, wie viel höher steht dann ein wahrer Untertan und Bürger des unbeweglichen Reiches (Hebr 12,28). Wohl allen, die dieses ewige Bürgerrecht besitzen und achthaben, dass sie desselben nicht verlustig gehen“ (Christlieb, Apostel Paulus, S. 371-374).

B) Bewährung ertragen (22,30-23,10)

„Als Paulus von dem Oberhauptmann vor den Hohen Rat gestellt wurde, hatte er viel Grund, ängstlich zu werden. Vor ihm stand die oberste Gerichtsbehörde seines Volkes. Da waren die Männer beisammen, die einst Jesus und Stephanus verurteilt hatten. Er wusste als früheres Mitglied dieses Kollegiums genau, welchen Hass sie gegen seinen Glaubensstandpunkt einnahmen. Seine Lage war nicht rosig. Dennoch war er mutig und getrost. Das sehen wir in dem Blick seiner Augen und den Worten seines Mundes. Nicht scheu und furchtsam blickte er auf die Versammelten, sondern „er sah sie fest an“ (wörtliche Übersetzung). Dieser Blick des Paulus ist beachtenswert. Er zeigt uns, wie völlig sicher er seiner Sache war. Keinen Augenblick wurde er schwankend im Blick auf die Richtigkeit des ihm befohlenen Weges. Auch die Macht und das Ansehen der hohen Behörde machten ihn nicht irre. – Was sind sterbliche Menschen für einen wahren Knecht Christi (Jes 51,12f; Ps 56,5+12; Hebr 11,17; 1Kön 17,1; 2Kön 3,13f)! Wo lag das Geheimnis dieser Unerschrockenheit bei Paulus? Das zeigen uns seine ersten Worte: „Ich habe mit allem guten Gewissen gewandelt …“. Wer ein gutes Gewissen hat, der darf auch vor die höchste Behörde ruhig und getrost hintreten. Das zeigt uns ein Luther in Worms. Wer aber von einem schlechten Gewissen verklagt wird, den können die schwächsten Menschen in Angst bringen. Lasst uns auf das gute Gewissen achthaben (24,16; 2Kor 1,12; 1Tim 1,19; 3,9; 4,2; Tit 1,15; 1Petr 3,16; Hebr 13,18)! Dann wird Gottes Gnade auch uns zur rechten Stunde die nötige Unerschrockenheit verleihen, die sich von der Dreistigkeit und Frechheit des natürlichen Menschen wie der Tag von der Nacht unterscheidet“ (Christlieb, Apostel Paulus, S. 374f).

„Es kann vorkommen, dass ein Jünger Jesu einem unwürdigen Amtsträger gegenübersteht und es ihm nicht leicht ist, die rechte Stellung einzunehmen. In einer solchen Lage befand sich Paulus in unserem Text. Wir wollen seine Auseinandersetzung mit dem Hohenpriester anschauen. Lasst uns sehen:
* wie Paulus durch das ungerechte Verhalten des Hohenpriesters gereizt wurde. Wie roh und gewalttätig war doch das Benehmen dieses Hohenpriesters. Ohne irgendwie die Worte des Paulus näher zu untersuchen, ohne jede Berechtigung zu solcher Schärfe, befahl er denen, die um Paulus standen, ihm eine Maulschelle zu geben. Durch unsere Blätter ging vor nicht langer Zeit eine Nachricht von einem höheren Beamten der Kirche, welcher mit rohen Ausdrücken gegen alle vorzugehen drohte, die nicht seine Ansicht in einer gewissen Frage teilten. Mit Recht erhob sich eine Entrüstung über solches Gebaren. Nicht anders, ja noch viel schlimmer war das Verhalten des Ananias gegenüber Paulus. Mit roher Gewalt wollte er das unterdrücken, was seiner Meinung entgegenstand. Lasst uns nicht sprechen: „Ich danke dir Gott, dass ich nicht bin wie jener Hohepriester“. Wer sein eigenes Herz kennt, der weiß, wie sich in unserem Innern oft solche Ananiasgedanken regten, so dass wir am liebsten andere mit äußerer Gewalt niedergedrückt hätten, wenn sie uns entgegenstanden. Lasst uns festhalten: Wer mit Ananias-Gewalt seine Meinung durchsetzen und andere Religionsansichten unterdrücken will, ist auf dem Irrweg.
* wie Paulus den Hohenpriester, ohne ihn zu kennen, der Wahrheit gemäß zurechtwies. Was tat nun Paulus? Wohl merkt man seinen Worten die innere Entrüstung an über solches Benehmen eines geistlichen Führers. Doch geht er in seiner Antwort in nichts über die Grenzen der Wahrheit. Der Titel, den er Ananias gab, war ebenso richtig, wie das Strafmaß, welches er ihm zudiktierte, und die Begründung dafür. Ananias war in der Tat „eine getünchte Wand“, d. h. äußerlich glanzvoll und würdig aussehend, aber innerlich voll Unwürdigkeit (Mt 23,27). Die ihm gebührende Strafe lautete: „Gott wird dich schlagen“. Dieses Wort erfüllte sich auch wirklich einige Zeit später, als Ananias durch den Dolch eines Fanatikers niedergestoßen wurde. Die Begründung für das Urteil von Paulus war auch zutreffend, denn ein Mann, der nach Gottes Gesetz richten soll und sich dabei selbst nicht um dieses Gesetz kümmert, verdient in der Tat Gottes Zornesrute.
* wie er, sobald er die amtliche Stellung erfuhr, sich entschuldigte. So wahr und zutreffend indessen dieses Urteil auch war, so kann man doch fragen: Durfte Paulus so reden? Wir antworten: Hätte er in dem Mann, der ihn zu schlagen befahl, gleich den Hohenpriester erkannt, so wäre seine Antwort nach seinem eigenen Urteil anders ausgefallen (V. 5b). Es hängt also alles davon ab, ob man die Berechtigung des Wortes: „Ich wusste es nicht, dass es der Hohepriester ist“ anerkennt, oder ob man mit anderen Auslegern übersetzen will: „Ich bedachte es nicht, dass es der Hohepriester ist“. Ein Fachmann und Kenner der damaligen Verhältnisse sagt darüber: „Die römische Oberbehörde jenes Landes suchte eifrig zu verhindern, dass das Ansehen des Hohenpriesters zu groß wurde. Deshalb wurde ihm das Anlegen der hohenpriesterlichen Amtstracht nur an bestimmten hohen Feiertagen erlaubt. Ferner ließ man einen Hohenpriester nie sehr lange auf seinem Posten, sondern wechselte häufiger, damit nicht ein Hoherpriester allzu großes Ansehen erlangen konnte“. So ist es ganz erklärlich, dass Paulus den Amtsträger nicht kannte, der keine besondere Amtstracht trug und noch nicht sehr lange im Amt war. Niemand hat ein Recht, die Wahrheit des Pauluswortes: „Ich wusste es nicht, dass es der Hohepriester ist“ anzuzweifeln. Sobald Paulus vernahm, dass der von ihm zurechtgewiesene Mann der Hohepriester war, entschuldigte er sich und bedauerte mit Rücksicht auf das Schriftwort 2Mose 22,27, jenen Ausdruck gebraucht zu haben. Hier sehen wir, dass Paulus, selbst wenn er in seiner Entrüstung die gottgewollte Grenze überschritten haben sollte (worüber uns das Urteil nicht zusteht), sich willig sofort dies sagen ließ und auch bei einem unwürdigen Amtsträger dennoch das Amt achten und gebührlich behandeln wollte. Dies gibt den Jüngern Jesu einen Hinweis für ihr Verhalten gegenüber einem unwürdigen Amtsträger. Es gilt in solchen Fällen trotz aller berechtigten Ausstellungen an der betreffenden Person dennoch das Amt zu achten und zu ehren. Dies wird in unserer Zeit leicht vergessen, die voll von Gottesverachtung ist.
Aus obigem Wort erkennen wir die Gebundenheit des Paulus an das geschriebene Wort Gottes. Paulus befand sich in einer aufregenden Lage. Ein Untergebener des Hohenpriesters hatte ihm einen Schlag ins Gesicht gegeben. Mit dem gerechten Wort der Wahrheit hatte er solche Handlungsweise gebührend zurückgewiesen. Nun wurde er darauf aufmerksam gemacht, dass der von ihm Gerügte der Hohepriester sei. Paulus hatte ein feuriges Temperament. Dasselbe hätte ihn verleiten können, trotz der amtlichen Hoheitsstellung diesen Mann mit Schmähworten zu überschütten und ihm sein unanständiges Benehmen kräftig vorzuhalten. Er, der einst mit Barnabas scharf aneinander geriet (15,39), hätte hier mit Ananias noch viel schärfer aneinander geraten können. Paulus hatte ohne Zweifel biblisches Material genug, um diesem unwürdigen Amtsträger die Abscheulichkeit seines Verhaltens in aller Öffentlichkeit aus dem Gesetzbuch eingehend zu beweisen und vorzuhalten. Er Paulus hätte auch denken können: Wenn man diesen Mann wegen seiner Amtsstellung noch berücksichtigt, so stärkt man ihn in seiner gewalttätigen Art. Es wird Zeit, dass er davon geheilt wird. Diese und manche andere Gründe hätten viel Schein der Berechtigung gehabt. Aber Paulus nahm eine andere Stellung ein. Sobald er hörte, dass dieser Mann das hohepriesterliche Amt bekleide, bat er um Entschuldigung und unterließ jeden weiteren Tadel. Was bewog ihn zu solcher Stellung? Etwa Menschenfurcht und Angst vor nachteiligen Folgen? Nein! Ihm leuchtet im ersten Augenblick ein Wort der Schrift auf, das ihm Wegleitung gab. Es war das Wort: „Den Obersten in deinem Volke sollst du nicht lästern“. Dieses Wort half ihm zur vollen Klarheit, was in der gegenwärtigen Lage das Richtige sei. Hätte er sich von seinem natürlichen Temperament bestimmen lassen, so würde er ganz gewiss nicht so friedfertig und demütig die Amtsstellung respektiert haben. Nachdem er sich nun aber vom Wort Gottes leiten ließ, fand er diese gute Stellung der Demut. Durch Gottes Wort wurde er bewahrt vor den Irrwegen: Böses mit Bösem zu vergelten, obrigkeitliche Amtsstellung gering zu achten und in seinem Herzen eine bittere Wurzel aufkommen zu lassen“ (Christlieb, Apostel Paulus, S. 377-380).

C) Bestärkung erleben (23,11)

„Es gibt an allen Enden und Ecken „Restaurationen“, die diesen Namen eigentlich nicht verdienen. Wörtlich bedeutet das nämlich „Erquickungen“. Wahre Erquickung ist nur anderswo zu finden. Sie ist bereitet für die Himmelspilger, denen ihr Herr auf dem Wege allerlei Stärkungen bereitet, wie sie es gerade nötig haben. Eine solche Erquickung schenkt Gott auch hier dem tief niedergebeugten Paulus am Anfang seiner Gefangenschaftszeit, indem er in der Nacht bei ihm steht und spricht: „Sei getrost, Paulus! Denn wie du von mir zu Jerusalem gezeugt hast, also musst du auch zu Rom zeugen“ (V. 11). In diesen Worten lag für Paulus eine dreifache göttliche Zusicherung, die ihn unaussprechlich erquicken musste.
* Die Zusicherung von Gottes Gnade und Freundlichkeit: Zuerst versicherte ihn Gott seiner Gnade und Freundlichkeit. O, wie viel Unfreundlichkeit hatte Paulus soeben erfahren. Wiederholt wollte ihn der Volkshaufen zerreißen und umbringen. Sie schrien: „Es ist nicht billig, dass er leben soll“. Der Hohepriester lässt ihn „aufs Maul schlagen“, der Hauptmann befiehlt, ihn zu binden und zu geißeln. Wenn auch die Pharisäer sich im Augenblick etwas freundlicher stellen, so ist es doch keine wahrhafte Freundschaft. Am liebsten hätten ihn alle tot gesehen. Und diesen Mann, den die blinde Welt so unfreundlich behandelt, zeichnet Gott mit einem besonderen Freundlichkeitserweis aus. „Sei getrost, Paulus!“ Wie hebt solch eine Erquickung uns über allen Menschenhass hinweg! Was schaden einem Abel die finsteren Kainsblicke, wenn Gott ihn gnädig ansieht? Was schaden einem David die bösen Eliabsworte, wenn Gott ihn seine Friedensnähe spüren lässt? Ja, was kann die schnaubende Volkswut dem Stephanus tun, wenn er den geöffneten Himmel über sich sieht! Ach, lasst uns weniger um Menschengunst, als um Gottes Gnade uns bekümmern. Denn nur diese erquickt und hält stand in jeder Lage. Wenn der Allmächtige uns freundlich anblickt – und das tut er bei allen Sündern, die bußfertig zum Kreuz fliehen -, dann darf uns viel, viel Menschenunfreundlichkeit nicht mehr schaden.
* Das Versprechen des göttlichen Schutzes: Aber nicht nur seiner Freundlichkeit, sondern auch seines ganz bestimmten Schutzes versichert Gott den Paulus. Denn wenn er ihm verheißt, ihn nach Rom zu bringen, so sagt er ihm damit ganz gewiss zu, dass alle Anschläge auf sein Leben, von denen er umgeben war, scheitern würden. Welche Gefahren umgeben hier den Paulus! Gewalt wollte ihn umbringen, List wollte ihn umzingeln, Ankläger wollten ihn zum Verbrecher stempeln. Das ganze Volk schien gegen ihn zu sein, entschlossen, seinen Untergang durchzusetzen. Aber wer will dem schaden, den Gott schützt? Wenn Gott einen Luther decken will, so kann kein Kaiser mit seiner Acht und kein Papst mit seinem Bann ihm schaden. Wenn der Herr einen Elias deckt, so mögen vierhundert im Sold des Königs stehende Propheten des Baal gegen ihn auftreten – keiner kann ihm ein Haar krümmen! Wenn Gott einen David schützt, so kann Saul so viel Späher und Truppen aufbieten, wie er will, er fängt ihn nie. O, lasst uns doch alle unter Gottes allmächtigen Schutz flüchten. Sein Name ist das festeste Schloss, seine Verheißung die sicherste Mauer.
* Paulus darf weiter Zeuge seines Herrn sein: Zuletzt bekam Paulus die Zusicherung, er habe noch wichtige Arbeit zu tun. „Wie du von mir zu Jerusalem gezeugt hast, also musst du auch zu Rom zeugen!“ Was hätte dem gefangenen Paulus das Herz wohl am schwersten bedrückt? Der Gedanke daran, dass er in Zukunft nicht mehr dem Reich Gottes dienen dürfe. Das ist für einen Arbeiter, den Gott gesegnet hat, besonders drückend. Aber Gott versichert ihn, er soll noch weiter als Zeuge Jesu gebraucht werden. Wie muss dadurch das Herz des Paulus mit Lob und Dank erfüllt worden sein! Was gab es für ihn Schöneres, als für seinen Heiland zeugen zu dürfen! Wenn Gott einem zusammenbrechenden Elias unter dem Wacholder neue Arbeit gibt, und wenn Jesus einen gefallenen Petrus wieder die Schafe weiden heißt, so sind das selige Worte für Gottes Knechte. Die Welt und die Teufel lassen ihre Anhänger im Elend stecken. Sie sind wie die Tröster Zedekias, die ihn überredeten, in den Schlamm führten und dann drin stecken ließen (Jer 38,22). Aber Gott lässt seinen Knecht Paulus im einsamen Gefängnis nicht allein, sondern labt ihn mit Himmelskost. Wohl allen, die sich diesem Gott anvertrauen“ (Christlieb, Apostel Paulus, S. 381-383).

3. TEXT- UND PREDIGTSCHWERPUNKT

Unsere Predigtübersicht 2010 (beim Gemeinschaftsleiter erhältlich) benennt als möglichen Schwerpunkt für die Predigt das Thema „Verleumdung“. Unser Predigttext veranschaulicht uns, dass unser Herr nie „am Ende ist“, aber am Ende ist immer unser Herr. Alles hat seine Zeit, die Bewährung und die Bestärkung (vgl. 1Kor 10,12f).

4. PREDIGTGLIEDERUNG

Auf Kurs bleiben – in der Verleumdung:
a) Bewahrung erfahren (22,23-29)
b) Bewährung ertragen (22,30-23,10)
c) Bestärkung erleben (23,11)

oder nach Wolfgang Nestvogel: Wenn der Heilige Geist uns prägt,
a) dann wird unser Zeugnis ungebrochen
b) dann wird unser Zeugnis respektvoll
c) dann wird unser Zeugnis treffsicher
d) dann wird unser Zeugnis abhängig